Noch einmal durchstarten, mit unseren Moppeds – unser großes Ziel. Und fast wäre der zweite Anlauf zu einem Fiasko geworden.

Rückblende. April 2020: Wir sitzen in absoluter Ausgangssperre in Cotahuasi/Peru in einer Missionsstation fest. In allerletzter Sekunde bekommen wir die Zollpapiere unserer Motorräder in trockene Tücher. Mit dem letzten Regierungsflug, der das Land verlässt, gelangen wir zurück nach Deutschland (siehe hier). Andrea steigt quasi nahtlos in ihren alten Job wieder ein, Tom arbeitet zunächst als Freelancer und später als fester Redakteur bei der Motorradzeitschrift „Tourenfahrer“. Unsere Motorräder stehen seit zwei Jahren in Peru, die zweite Verlängerung der Zollpapiere läuft aus. Die Zweiräder müssen also raus aus dem Land, denn eine dritte Periode zu bekommen scheint unwahrscheinlich. Weiterfahrt in Peru über eine der Landesgrenzen ist indes nicht möglich, da nach zwei Jahren noch immer die Landgrenzen geschlossen sind. Unser Logistiker signalisiert uns indes, dass er die Motorräder auf dem Seeweg aus Peru herausholen und nach Kanada verschiffen könnte. Der Startschuss für den zweiten Anlauf – wenn auch in einem anderen Land – ist also gefallen.

Ein herber Rückschlag

Wir geben unsere Jobs auf, schreiben unsere Wohnung zur Zwischenmiete aus und besorgen alle Teile, die fürs Flottmachen der Motorräder und des Equipments nötig sind. Dann ein herber Rückschlag: Die Nachricht von unserem Logistik-Provider, dass ein kurzfristiges Verschiffen nach Kanada – entgegen seinen ersten Aussagen – mangels Containerplatz doch nicht möglich sein wird. Unsere Gefühlslage kann sich jeder selbst ausmalen: Leben in Deutschland ein zweites Mal aufgegeben, dann platzt das Vorhaben wie eine Seifenblase. Doch das berühmte Lichtlein, das von irgendwo herkommt, war uns hold. Wenige Tage später trudelt die Nachricht ein, dass Peru seine Grenzen öffnet. Manchmal widerfährt einem ein Maß an Glück, das kaum zu glauben ist.

Also buchen wir unsere Flüge nach Lima, in dessen Nähe die beiden BMWs stehen. Am Tag des Abflugs erreicht uns die Kunde, dass im Land gewaltsame Unruhen mit Straßenblockaden und bewaffneten Übergriffen ausgebrochen sind, zu deren Beruhigung das Staatsoberhaupt eine Ausgangssperre ausgerufen hat. 2020 also raus aus dem Lockdown und 2022 direkt wieder rein! Doch als wir ankommen sind die Maßnahmen wieder aufgehoben. Aníbal, bei dem die BMWs untergekommen waren holt uns vom Flughafen ab. Auf der Fahrt sehen wir an den Straßenrändern noch die Brandspuren von den brennenden Autoreifen und jede Menge Verwüstungen.

Schockstarre

An seinem Domizil angekommen, ziehen wir die Planen von den beiden Kälbern. Die Schockstarre verschlägt uns die Sprache. Beide F 650 GS zugedreckt vom allgegenwärtigen Wüstenstaub in der Luft. An allen Ecken und Enden korrodiert vom Salz des nahen Pazifik, die Ketten bis zur Unkenntlichkeit verrostet, ein Gabelsimmerring der Dakar schwitzt, beide Batterien tot, Schlösser kaum gängig, Reifen porös, etc.pp. Die Liste an Problemen reicht bis Düsseldorf.

So gut wie neu: Das Ritzel der Dakar

Also machen wir uns ans Werk, Aníbal hilft uns nach Kräften. Und er will alle Details wissen über die Motorräder und unsere Umbauten sowie unser Equipment, mit dem wir reisen. Inspiriert von unseren Bikes und unserem Trip hat sich der exzellent Englisch sprechende Mittsechziger eine BMW G 650 GS Sertao zugelegt – fast baugleich mit der etwas älteren Dakar. Er treibt für uns neue Batterien und Reifen auf, ersteht eine 30-er Nuss für die vorderen Kettenritzel, zeigt uns die besten Läden für Betriebstoffe und Schläuche aller Art. Über eine komplette Woche hinweg schrauben wir jeden Tag von morgens bis abends an unseren Reisemobilen, und Aníbal wird zu einem guten Freund, der uns immer zur Seite steht.

Los gehts, die Möppis flott machen

Ein harter Kampf

Probleme bereitet uns indes die peruanische Zollbehörde, die das ausgesetzte TIP (Temporary Import Permit) unser Fahrzeuge wieder in Kraft setzen muss, damit wir sie bewegen und über die Grenze bringen können. Doch die Behörde antwortet seit Wochen auf keinerlei Nachrichten. Wir schreiben bereits den 12. April, am 19. April müssen die BMWs das Land verlassen haben. Also fahren wir mit einem Sammeltaxi nach Lima – hinein in den fiesen, an seinem stinkenden und völlig chaotischen Verkehr erstickenden Elf-Millionen-Moloch. SUNAT heißt die Zollbehörde und stellt für jeden Reisenden den Vorhof der Hölle dar. Andrea läuft zur Höchstform auf. Tonnenschwer, zweimeterfünfzig groß und mit Reißzähnen knöpft sie sich den bornierten Sachbearbeiter vor. Tom sitzt daneben und staunt Bauklötze über Seiten, die er an meiner sonst so gutmütigen Frau noch nie gesehen hat.

Fight mit harten Bandagen auf der Zollbehörde

Nach nicht weniger als zweieinhalb Stunden Diskussion, Telefonaten, Recherchen, Mutmaßungen und Lösungsversuchen wiehert der sichtlich abgekämpfte Amtsschimmel, dass morgen ein Beamter zum Standort der Motorräder in Chaclacayo käme und sich die Bikes ansehen würde. Das Taxi für dessen Fahrten von und nach Callao hätten wir zu organisieren und zu bezahlen. Nun gut. Wenn es dem Zweck dient…

Der Zöllner kommt tags darauf nach zwei Stunden Fahrt tatsächlich an, checkt vor Ort die Fahrgestellnummern und stellt seine Papiere aus. Damit fahren wir einmal mehr in den Moloch Lima und erstehen eine Versicherung. Kosten für Taxi, Uber und Versicherung: rund 200 Euro!

Es geht los – im Stau

Der Knoten ist also geplatzt. Und: Die BMWs dürfen bis 28. August im Land bleiben! Wir können also starten. Aníbal und seine Freundin begleiten uns noch am ersten Tag in die Voranden. Es ist Gründonnerstag, die Blechkolonne zieht sich – meist stehend – über mehr als 50 Kilometer ins Gebirge hinein. Semana Santa – Ostern. Das heißt für die Einwohner Limas offenbar, alle gleichzeitig loszufahren und die Großstadt zu verlassen. Und alle in die gleiche Richtung.

Auf Lillys Campingplatz

Es ist bereits Nacht, als wir an einem Campingplatz ankommen. Wir stoßen an, mit kaltem Bier – darauf, dass wir alle Widrigkeiten besiegt haben und nun weiter unseren Traum leben können. Und auf Aníbal, ohne dessen unermüdliche Hilfe, wir wohl nicht so schnell aus den Startlöchern gekommen wären. Der Abschied am nächsten Morgen fällt uns schwer, doch Aníbal muss den Rückmarsch antreten.

Nicht schlecht staunen wir über einen wild tanzenden Zeitgenossen im Meerschweinchen-Kostüm am Straßenrand. In dem kleinen Flecken Matucana, eingerahmt von hohem Gebirge, ist alles unterwegs, was Beine hat. Eine kleine, aber feine Osterprozession mit bunten Gewändern, eine Marschkapelle mit viel Humpa, tanzende Mädels – und ein wie von Sinnen strampelndes Meerschwein.

Unsere Sinne schwinden

Der Verkehr ist mittlerweile verschwunden. In einem kaum beschreibbaren Hochgefühl schrauben wir uns auf den BMWs immer weiter die Anden hinauf, Serpentine um Serpentine, Kurve um Kurve. Immer karger wird die Landschaft, immer schroffer die Felswände. Und immer trüber unsere Sinne. Wir haben uns innerhalb von zwei Stunden von 2000 auf fast 5000 Meter hinaufkatapultiert. Jeder Atemzug fällt schwer, jede noch so kleine Bewegung bringt uns körperlich an die Grenze. Wir erstehen einen Beutel Koka-Blätter und kauen eine ordentliche Portion der Heilpflanze, die uns immer geholfen hat, wenn uns die enorme Höhe zusetzte.

Am Pfahl verewigt: Wir fahren weiter, der Aufkleber bleibt da

Auf dem Paso Ticlio verewigen wir uns zum ersten Mal mit unserem Bike Voyagers Aufkleber am Pfosten des dortigen Schildes. Auf der anderen Seite verlieren wir rasch wieder an Höhe, die Landschaft wird wieder grüner, die Straßen wieder gerader. Beim Bergbaustädtchen La Oroya fahren wir geradewegs in ein Gewitter mit Hagelsturm hinein und kriechen in einem verlassenen Schuppen am Wegesrand unter und zählen die schmerzhaften Flecken, die die taubeneigroßen Hagelkörner an Armen und Beinen hinterlassen haben. In der Dämmerung erreichen wir ein großes Gelände mit zwei Restaurants und weiter unten am Fluss ein Campingareal, das Gastwirt Javier, seine Frau Melina und Javiers Bruder betreiben – ein Idyll eingerahmt von hohen Bergen. Da wir es nach dem Stress der letzten Monate ohnehin erst einmal ruhig angehen lassen wollen, nehmen wir uns viel Zeit, am Fluss entlang zu schlendern, kleinere Reparaturen an Motorrädern und Equipment vorzunehmen und zu entspannen.

Idyllischer geht es kaum: Camping Wasillay

Wir sammeln Müll

Eigentlich sollten es nur zwei Nächte werden. Bei einem letzten Schwätzchen vor dem Abbrechen unseres Zelts klagt die sympathische Melina über den vielen Müll, den die Tagesbesucher aus der nahen Großstadt Huancayo hinterlassen, und dass sie das Einsammeln kaum mehr bewältigt. Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie die Ausflügler mit rauen Mengen an Lebensmitteln anrücken und ihren Müll schlicht liegenlassen oder in den Fluss werfen. Die Nach-mir-die-Sintflut-Haltung ist hier noch deutlich mehr ausgeprägt als in Deutschland – kaum vorstellbar eigentlich. Wir blicken uns gegenseitig an und fällen ohne Worte die Entscheidung, noch zu bleiben und in einer Tagesaktion das Areal vom Unrat zu säubern. Jede Menge Plastikmüll, über dessen Zerfall zu Mikroplastik man hätte einen Lehrfilm drehen können. Autoreifen, Kohlesäcke, Kleidung und Mengen an Klopapier von Pottsäuen, die zu faul sind, bis zur Toilette zu laufen. Flaschen, Tierknochen, Autoteile, sogar eine Motorradverkleidung ziehen wir aus dem Fluss. Passt aber leider nicht an die BMWs.

Die Wirtin ist hingerissen von unserem Engagement, will uns sofort Forellen in die Pfanne hauen. Doch wir hatten vor, selbst zu kochen, an unserem letzten Abend in dem Idyll. Flugs fährt Töchterchen Pamela drei Quads auf den Platz. „Dann zeigen wir Euch den besten Laden zum Einkaufen“. Die Fahrt im Konvoi in die Dörfer unterhalb macht Laune, auch wenn sich mir immer wieder die Frage stellt, wofür man vier Räder braucht.

Am nächsten Morgen wieder ein Abschied von Menschen, die uns sehr ans Herz gewachsen sind. Viele Fotos und Selfies später starten wir wieder durch. Unser Ziel ist Ayacucho, eine 150.000-Einwohner-Stadt weiter südöstlich. Was wir indes noch nicht ahnen: Dass wir dort nicht ankommen werden!

Kilometer: 303 (+23989)

Unsere Route findet ihr wie immer hier.

Bildwechsel im Slider unten: Ziehen mit der Maus bzw. Wischen.

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