Ausgangssperre, Festnahme, Flucht: Wir sitzen wieder fest. Doch diesmal liegt es weder am Wetter, noch an den Bikes. Sondern an einem Virus, von dem wir gestern abend noch glaubten, es gäbe ihn hier gar nicht…

Es ist ein herrlicher, sonniger Tag. Die Regenzeit in Peru ist gerade zu Ende und die Landschaft strahlt in saftigem Grün. Die teils über 6000 Meter hohen Berge rund um den Cotahuasi Canyon sind zum Greifen nah. Hier könnten wir heute wandern gehen, oder die Death Road nach Quechualla tief im Innern der Schlucht fahren. Wir könnten so vieles machen… aber wir dürfen nicht.

So nah und doch unerreichbar: Der spektakuläre Cotahuasi Canyon

Auf dem Rückmarsch

Rückblende: Unser Versuch, vom Cotahuasi Canyon über einsame Hinterlandpisten durch die Berge nach Cusco zu fahren, endete an einem hüfthohen Fluss, der den Weg kreuzte. Furten unmöglich. Nach einer bitterkalten Nacht auf knapp 5000 Metern lernten wir auf dem Rückweg mitten im Nichts am Wegesrand Brad kennen. Der US-Amerikaner lud uns auf einen Besuch in seine christliche Missionsstation ein, um dann zu sehen wie es weitergeht.

Wie sich in Cotahuasi herausstellte, war über ganz Peru eine Ausgangssperre für 14 Tage verhängt worden. Mit dem eigenen Fahrzeug zu fahren ist nun verboten, das Haus dürfen wir nur noch für notwendige Einkäufe und Arztbesuche verlassen. Angesichts der verfahrenen Situation bieten uns Brad und seine Frau Gina an, die Nacht bei ihnen zu verbringen. Wie sich schnell herausstellt, setzen Polizei und Regierung die Ausgangssperre rigoros durch. Wir sitzen also wieder einmal fest. Die beiden Missionare nehmen es mit einem Schulterzucken: „Hier ist genug Platz – ihr könnt bleiben, so lange ihr wollt.“ Von der herzlichen Freundlichkeit der beiden Mittsechziger sind wir extrem beeindruckt.

Unsere neue Familie: Brad und Gina

Wir sind erleichtert – und trotzdem sehr verunsichert wie es nun weitergehen soll. Aus Deutschland haben wir Nachrichten erhalten über drohende Ausgangssperren, Home-Office und Ausverkauf von Klopapier und Nudeln. Da fühlen wir uns hier sicherer und wir beschließen zwangsläufig, die 2 Wochen hier auszuharren, um danach die nächste Etappe zum Welterbe Machu Picchu in Angriff zu nehmen.

Um die Ausgangssperre auszusitzen haben wir es hier gut getroffen. Wir übernachten in einem von zwei Schlafsälen, die ab und an für die Teilnehmer christlicher Seminare genutzt werden. So haben wir ein festes Dach über dem Kopf und können auch Küche und Wohnzimmer nutzen. Außerdem ist das Gelände sehr groß und es gibt einen großen, plantagenartigen Garten, wo wir uns regelmäßig mit frischen Orangen, Zitronen und Feigen versorgen.

Die Aussätzigen

Natürlich wollen wir uns hier auch nützlich machen und gehen erst einmal einkaufen, um für unsere Gastgeber ein Abendessen zu kochen. Von der Ausgangssperre ist zunächst nicht viel zu spüren, in der Einkaufsstraße sind die Leute unterwegs wie sonst auch. Nur wir werden argwöhnisch beäugt und manche ziehen sich ihr T-Shirt über die Nase, als wir vorbeigehen. Als wollten Sie sagen: Da kommen die Gringos, die das Virus ins Land gebracht haben. Auch in den Geschäften sind wir nicht gern gesehen.

Verwaist: die Gassen von Cotahuasi

Prompt nimmt uns auch noch die Polizei fest und wir müssen mit in die Wache. Gleich drei der uniformierten Herren reden gleichzeitig auf uns ein. Was wir hier machen und warum? Wo wir herkommen und wo wir wohnen. Keine unserer Antworten gefällt ihnen, so dreht sich das Frage und Antwortspiel im Kreis. Es herrsche Ausgangssperre und wir dürften gar nicht raus. Dass wir etwas zu essen brauchen, sehen sie irgendwann ein. Doch niemand dürfe zu zweit raus, so lautet die Aussage jetzt. Just als der Uniformierte uns das predigt, winkt er freundlich einer vierköpfigen Gruppe Einheimischer zu, die gerade an der Wache vorbeispaziert.

Es handelt sich also um klassisches Racial Profiling und wir sind langsam genervt von all der Scheinheiligkeit. Dennoch versuchen wir, freundlich zu bleiben, damit unsere Gastgeber nicht noch Schwierigkeiten bekommen. Als den Ordnungshütern nichts besseres mehr einfällt sollen wir auf das Virus getestet werden. Wie Vieh werden wir auf der Ladefläche eines Pickups abtransportiert. Als Sitzgelegenheit dient eine Kettensäge, die bei jedem Schlagloch oder Speed Bump unsere Hintern malträtiert. Es geht raus aus dem Ort zu einem „Gesundheitszentrum“. Der „Test“ besteht aus Temperaturmessen. Da können wir ja jetzt echt beruhigt sein. Zurück müssen wir laufen.

Kinder als Treibstoff

Brad und Gina finden unser Erlebnis eher lustig und beim Abendessen erzählen sie uns die eine oder andere Anekdote, wie sich die Leute verhalten haben, als sie hier vor über 20 Jahren angefangen haben und die Fremden waren. Die Einwohner hatten noch nie Weiße gesehen. Sie sperrten ihre Kinder weg, denn es ging das Gerücht um, dass die Amerikaner sie bei Nacht einfangen wollen, um aus ihnen Treibstoff für Mondraketen herzustellen. Und als die beiden ihren christlichen Radiosender aufbauten, hieß es, die CIA würde hier spionieren. Logo – in einer abgelegenen Schlucht im Süden Perus, wo nur Bauern und Viehhirten leben. Mit ihrer herzlichen und immer souveränen Art schaffen die beiden es, unseren Ärger schnell verrauchen zu lassen.

Dank der Herzlichkeit der Amerikaner und ihrer einheimischen Mitarbeiter leben wir uns rasch ein in unserer Missionsstation. Die Tage laufen meist gleich ab. Nach dem Frühstück versammeln sich alle, um Neuigkeiten auszutauschen, aus der Bibel zu lesen und zum Gebet. Währenddessen sorgen wir in der Küche für Ordnung und setzen uns nach der Hausarbeit mit in die Gebetsrunde. Da man jetzt tatsächlich nur noch alleine zum Einkaufen darf hat Andrea das übernommen, da sie besser Spanisch spricht. Mit der Zeit gewöhnen sich auch die Menschen hier im Ort an sie und sprechen sogar mit ihr. Da ist zum Beispiel Rena die Besitzerin einer der vielen kleinen Läden hier. Bei ihr gibt es nicht nur frisches Gemüse, sondern auch immer Neuigkeiten über Cotahuasi, Peru und die Welt.

Wir unterstützen unsere Gastgeber, wo wir können. Neben Einkaufen, Kochen, Spülen und Putzen befreien wir den alten Eselstall vom Mist und die Kopfsalatbeete vom Unkraut. Die beiden Missionare haben in dieser Krisenzeit alle Hände voll zu tun und sind äußerst dankbar für unsere Unterstützung. Wir wachsen zusammen wie eine Familie.

Wir backen Feigenmuffins für Brads und Ginas Reise

Es ist ein komisches Gefühl wenn man seit Monaten unterwegs ist und so plötzlich ausgebremst wird. Natürlich nutzen wir die 2 Wochen um die komplette Ausrüstung auf Vordermann zu bringen. Die Motorräder werden gewartet und die Moppedklamotten kommen in die Waschmaschine – nach der Schlammtour durch die Berge bitter nötig. Aber irgendwann sind wir damit fertig und warten sehnsüchtig auf das Ende der Ausgangssperre.

Kurz vor Ende der zwei Wochen ereilt uns die Nachricht, dass die Ausgangssperre um weitere zwei Wochen verlängert wird. Da die Lage sich weltweit weiter verschlechtert, bezweifeln wir immer mehr, dass wir danach überhaupt weiterreisen können.

Hier führen wir Euch durch das Kleinod unserer Missionsstation

Überlastung trifft Ignoranz

Brad und Gina suchen verzweifelt nach Flügen in die USA. Sie wollen zu ihrer Familie. Ginas betagtem Vater steht eine fiese Krebs-OP bevor. Außerdem fühlen sie sich angesichts ihres Alters und Brads Asthma in den Staaten besser aufgehoben. Aber reguläre Flüge gibt es nicht mehr. Und Deutschland verhandelt derzeit mit Peru über Rückholflüge. So langsam ziehen wir in Betracht auch nach Deutschland zurückzukehren. Wir recherchieren im Internet und versuchen, den peruanischen Zoll zu kontaktieren um eine Lösung für die Motorräder zu finden. Der hat indes wie alle Behörden seinen Betrieb eingestellt. Also kontaktieren wir die deutsche Botschaft, erklären unsere Situation und fragen an ob sie vielleicht einen Tipp haben oder zumindest eine Telefonnummer vom Zoll. Die knappe Antwort lautet: Wissen wir nicht, dafür sind wir nicht zuständig, schaut im Internet. Zum Teil bekommen wir halbgare Infos, die sich später als haarsträubend falsch herausstellen. Die entscheidenden Auskünfte erlangen wir allesamt auf der Facebook-Seite der niederländischen Botschaft.

Ansonsten genießen wir die frischen Orangen und Feigen im Garten und freunden uns mit dem Lama an, das wir auf den Namen „Dalai“ taufen. Welch Blasphemie unter christlichem Dach! Dem gut gelaunten, quasselnden Papagei versuchen wir indes vergeblich, Deutsch beizubringen.

Unser Freund Dalai, das Lama

So schön es hier ist, das Gelände ist groß und durch die Mitarbeiter die hier wohnen bzw. jeden Tag kommen um den Radiosender zu betreiben sowie Garten und Fuhrpark zu pflegen, sind wir nicht ganz so isoliert. Dennoch ist es wie ein goldener Käfig. Dazu kommt die Ungewissheit, wie es weitergeht.

Schließlich bekommen Gina und Brad Flüge in die USA und reisen ab. Das alles geht so schnell, trotzdem ist der Abschied herzlich. Die beiden sind die letzten Wochen nicht nur unsere Freunde, sondern unsere Familie geworden. Dazu noch der große Vertrauensbeweis, dass sie uns so lange wie nötig hier wohnen lassen. Wir vermissen sie schon, kaum ist das Auto um die Ecke gebogen.

Gab unterwegs auf: Brads Land Cruiser

Auch die ersten Rückholflüge nach Deutschland sind gestartet und die Aktion soll bis Ende April abgeschlossen sein. Wieder einmal unternehmen wir einen Versuch bei der Botschaft, zumal wir nun auch eine Unterstellmöglichkeit für die Motorräder haben. Dummerweise ist gerade Ostern und die Botschaft hat für 5 Tage geschlossen. Natürlich sollen die Mitarbeiter die Feiertage genießen – aber komplett schließen in so einer Krise? Für uns unverantwortlich.

Die emotionale Achterbahn

Die Zeit wird immer knapper, der allerletzte Regierungsflug ist angekündigt. Toms Neffe hat uns einen Kontakt bei der Botschaft aufgetrieben. Nun bekommen wir schnell und kompetent Hilfe sowie verlässliche Aussagen. Mittlerweile haben wir auch herausgefunden wie das Prozedere läuft, um die Zollpapiere für die Motorräder für 1 Jahr auszusetzen. Leider ist es aber für den letzten Flug zu spät. Nach Lima sind es knapp 1200 km und mit den Straßen hier müssen wir 3 Tage einplanen.

Gefühlsmäßig ist es wie eine Achterbahnfahrt, denn die Entscheidung zurück zu fliegen war schwer. Aber hier für unbestimmte Zeit festhängen wollen wir auch nicht und schon gar nicht in dieser unsicheren Zeit und mit kaum existenter medizinischer Versorgung. Wir bekommen die Nachricht, dass es doch noch einen weiteren Flug geben soll. Also bereiten wir alle Dokumente für den Zoll vor und klären die Busverbindung von unserem Stellplatz zwei Stunden nördlich von Lima ab. Und schon wieder saust die emotionale Achterbahn mit Volldampf nach unten: Der Flug geht am Sonntag, dem Tag mit kompletter Ausgangssperre, d.h. es fahren auch keine Busse und schneller schaffen wir die Strecke nicht.

Der Abschied von unseren Freunden

Wieder durchforsten wir das Internet nach Möglichkeiten und finden einen näheren Stellplatz. Schnell packen wir alles zusammen und sind startklar. Zum Abschied versammelt sich noch mal die ganze Mannschaft der Missionsstation auf der Straße und betet für uns. Der Abschied ist emotional, denn unsere peruanischen Freunde sind uns sehr ans Herz gewachsen.

Unsere Freunde von der Missionsstation

Unterwegs passieren wir fast 30 Polizeikontrollen. Wir müssen unseren Passierschein vorzeigen, immer wieder die gleichen Fragen beantworten. Manche wollen auch einfach nur ein Selfie mit uns machen und andere halten riesigen Abstand. Einmal werden erst wir, dann unsere Motorräder mit Chlor abgespritzt. Ein freundlicher, wissbegieriger Beamter will alles wissen von Tom: wo wir herkommen, wie schnell die Bikes fahren, wie lange wir schon unterwegs sind. Dann kommen die Klischee-Fragen: Als Deutscher fährst Du BMW? JA. Und du trinkst Bier? JA. Dann magst du auch Fußball? JA. Dann bis du bestimmt auch Fan des FC Bayern München? Tom antwortet nicht mehr, seine Miene verfinstert sich, das Wohlwollen weicht und der „Ich-muss-töten“-Modus stellt sich ein. Schnell gibt der junge Polizist die Papiere zurück und winkt uns durch.

Polizeikontrolle: Unsere Bikes werden ebenso mit Chlor abgespritzt wie wir

In Pisco sehen wir Fußgänger durch eine Schleuse mit Chlordusche zur Arbeit gehen – jeden Morgen!Fiese Hitze, brachialer Seitenwind und immer wieder Sandverwehungen begleiten uns auf den bolzengeraden 1000 Kilometern nordwärts über die Panamericana durch die peruanische Wüste. Am dritten Fahrtag kommen wir endlich nach Lima. Der Verkehr wird immer dichter und wir fragen uns, wie schlimm es sein muss, wenn es keine Ausgangssperre gibt.

Die nächste Hürde kommt, als wir Lima in östlicher Richtung verlassen, da das Domizil für unsere Motorräder außerhalb der Hauptstadt liegt. Problem: Unser Passierschein gilt nur bis Lima. Es gibt eine lange Diskussion mit der Polizei aber da es nur noch 5 Kilometer sind, winken sie uns letztendlich durch.

Der nächste Abschied folgt nun von unseren treuen Reisemobilen. Wir können im Moment nur hoffen, dass alles mit den Zollpapieren gut geht und vertrauen darauf, dass sie hier sicher stehen. Dann geht es mit dem Taxi zu unserer letzten Unterkunft in Lima. Am späten Nachmittag bekommen wir Nachricht von der Botschaft für den Treffpunkt am nächsten Morgen.

Ein Blick in Google zeigt, das ist in einem anderen Stadtteil 6 Kilometer entfernt. Die von der Botschaft vorgeschlagenen Taxi Unternehmen fahren Sonntags nicht und der Rezeptionist in unserem Hostel kann uns auch nicht weiterhelfen. Also stehen wir früh auf und begeben uns samt Gepäck auf einen Fußmarsch um pünktlich um 8 Uhr da zu sein. Auf halber Strecke finden wir doch noch ein Taxi. Ab diesem Zeitpunkt zieht sich alles wie ein Kaugummi, läuft aber reibungslos.

Sprengstoffsuche

Kulturschock Deutschland

Ende April sind wir nach Deutschland zurückgekehrt. Die Ausgangssperre in Peru wurde immer wieder verlängert, der Ausnahmezustand hält auch jetzt noch bis Anfang März 2021 an. Die Situation hat sich dort mittlerweile erheblich verschlechtert. Die Menschen in den Städten haben ihre Arbeit und Wohnungen verloren, gehen zu ihren Familien aufs Land und tragen so das Virus bis in die letzten Ecken des Landes. Auch nach Cotahuasi. Fredy aus der Missionsstation hat uns geschrieben, dass sie alle für uns beten. Das rührt uns sehr, sind wir doch jetzt in einem Land mit wesentlich besseren Gesundheits- und Sozialsystemen.

Unsere Gedanken in diesen schlimmen Zeiten gelten nicht nur unseren Freunden in Cotahuasi, sondern auch allen die wir auf unserer großartigen Reise kennengelernt haben, egal wo sie zur Zeit gestrandet sind, und natürlich auch allen die von zu Hause unserem Blog folgen.

Bleibt alle gesund,
Eure Bike Voyagers

Kilometer: 23.989

Unsere Route findet ihr wie immer hier.

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