Der Wind pfeift ums Haus, überall klappert es. Ich schaue aus dem Fenster, kann gerade noch so die Moppeds im Hof unseres Hostels erkennen.

In dichten Schwaden weht der Sturm den Staub der umliegenden unbefestigten Straßen durchs Dorf. Die frisch gewaschenen Socken flattern an der Leine und sind schon mit einer klebrigen Mischung aus Wasser und Sand paniert. Dahinter ist außer Staubwolken nichts mehr zu sehen. Das bedeutet wohl, dass wir noch eine Nacht in Junin de los Andes bleiben. Bei dem Sturm ist an weiterfahren nicht zu denken. Schon auf den vergangenen 100 Kilometern hat uns der ätzende, böige Seitenwind auf der Hochebene immer wieder gefährlich Richtung Gegenverkehr gedrückt. Wieder einmal hält uns also das Wetter auf.

Die entscheidende Behandlung

Noch vor eineinhalb Wochen war der Fortgang unserer Reise völlig unklar. Unser Freund Fritz hatte seine Nichte Fernanda in Lautaro/Chile – ihres Zeichens Kinesiologin – auf Toms äußerst schmerzhaften Bandscheibenvorfall an der Halswirbelsäule angesetzt. Von ihrer Behandlung und ihrem fachmännischen Urteil also hing ab, ob wir weiterfahren können oder unseren Lebenstraum vorerst beerdigen müssen.

Einer der vielen Demonstrationszüge zieht durch die Hauptstraße und macht ordentlich Radau, als sich Tom auf Fernandas Massageliege krümmt und Wärme, Reizstrom und Massagen verabreicht bekommt. Am wichtigsten: Fernanda bringt ihm Übungen bei, mit denen er täglich seiner Malaisse zuleibe rücken soll. Und – zu unserer großen Erleichterung – die sympathische junge Spezialistin gibt grünes Licht für die Weiterreise. Wir atmen auf. Aber wir wissen, dass es nicht leicht wird, denn ein guter Teil des südlichen Wegenetzes in Chile und Argentinien gleichermaßen besteht aus fiesen, materialmordenden Waschbrettpisten.

Reizstrombehandlung bei Fernanda

Am nächsten Morgen sitzen wir entspannt in der Vormittagssonne beim Frühstück, als es hinter uns laut wird. Wir spucken vor Lachen fast den Kaffee aus, als unser Campingplatz-Wirt mit motorsportlichenen Ambitionen und stattlicher Geschwindigkeit auf seiner kleinen Suzuki GN 125 über die Wiese donnert und einen selbstgebauten Rasenmäher-Anhänger lärmend und knatternd hinter sich her zieht. Der Mann ist Biker durch und durch und mäht sogar seinen Rasen mit dem Motorrad. Der Mann heißt typisch chilenisch Christian Schneider, hat deutsche Vorfahren und steht auf alles was fährt und ordentlich Krawall macht. Äußerst sympathisch.

Das ist ein echter Biker

Die empfohlenen Übungen für Tom und die Ruhe scheinen zu helfen. Also machen wir uns auf in das chilenische Seengebiet und fahren von Lautaro aus nach Westen in den einsamen Tolhuaca Nationalpark auf etwa 1200 Metern mit seinen Wasserfällen sowie Bambus- und Araukarienwäldern. Wir sind die einzigen Gäste auf dem idyllisch am Ufer des Wildbaches Malleco gelegenen Campingplatzes, wo wir zwei Tage verbringen. Am zweiten Tag beginnt es sintflutartig zu schütten und will nicht mehr aufhören. Dennoch bieten die tief in den Bergen hängenden Wolken ein faszinierendes Bild – wenn man sie vor Bindfadenregen denn einmal sieht.

Alles in Flammen

Als am nächsten Morgen plötzlich die komplette Alubox, auf der wir den Benzinkocher betreiben, inklusive der Spritflasche in Flammen steht, stellen wir fest, dass sich in der Leitung ein Leck gebildet hat, durch das ungehindert Benzin austritt. Ohne den morgens notwendigen Kaffee nutzen wir eine Regenpause um alles abzubauen und fahren nach Curacautín. Da für die nächsten Tage noch mehr Regen angesagt ist und wir noch eine Reihe weiterer Reparaturen am Equipment vornehmen müssen, mieten wir uns für einige Tage eine Cabaña. So nennt man hier eine Ferienhütte für Selbstversorger.

Tag 3 erwartet uns mit blauem Himmel und Sonnenschein. Schnell alles einpacken und die Moppeds starten. Der markante, wie ein dort hin gerieselter Salzberg aus der Ebene aufragende Vulkan Llaima zieht uns in seinen Bann und wir fahren zum Conguillo Nationalpark. Nicht nur der Vulkan selbst ist in dichtes Weiß gehüllt, auch die Wanderwege sind größtenteils noch zugeschneit und nicht komplett begehbar. So weit es geht laufen wir durch Bambus- und Araukarienwald. Letztere – auch Andentannen genannt – sind typisch für diese Region und viele Nationalparks sind auch für den Schutz dieser imposanten südamerikanischen Pinienart eingerichtet worden. Optisch muten die Gewächse wir Kakteen an, an die jemand aus Jux einen Baumstamm geschraubt hat.

Vulkan Llaima mit Araukarie

An einem beliebten Platz fürs wilde Zelten außerhalb des Parks an einem Fluss schlagen wir unser Zelt auf, rasch finden sich noch zwei weitere Paare aus Frankreich und Deutschland am Lagerfeuer ein und tauschen Reiseerfahrungen aus. Die Nacht wird bitterkalt, unsere erste Frostnacht auf dieser Reise.

Auf dem Lavafeld

Am nächsten Tag fahren wir in den Park. Majestätisch erhebt sich der knapp 3300 Meter hohe Llaima aus einer Wüste aus schwarzer Vulkanasche, die er bei diversen großen Eruption unter sich ausgebreitet hat. Der Schnee wird immer höher, je weiter wir in den Park einfahren. Irgendwann geht es nicht mehr weiter weil sich Autos festgefahren haben und erst geborgen werden müssen. Einerlei, wir begeben uns auf Wanderschaft, durch den pappigen tiefen Schnee und über grisselige Vulkanasche dem Berg entgegen. Schnell sind wir den Menschen entflohen und hören nur noch den Wind durch die imposanten Araukarien streichen und die Schreie der über uns kreisenden Adler und Falken.

Der Schnee wird immer mehr

Die beiden Franzosen haben uns neugierig auf Argentinien gemacht und so machen wir uns tags drauf auf zum nächsten Pass Richtung Grenze. Wie angekündigt fängt es mal wieder zu regnen an. Völlig durchgefroren erreichen wir Malacahuello. Das es hier einen Ski- und Rodelverleih nach dem anderen gibt macht die Situation auch nicht besser. Wir entscheiden uns zurück nach Curacautín zu fahren und noch mal eine Nacht in „unserer“ Cabana zu verbringen. Beim zweiten Anlauf klappt es dann. Wir fahren auf einer staubigen Piste durchs Hinterland. Allenthalben tun sich Blicke auf die verschneiten Bergzüge, über idyllisch gelegene Seen und von der Schneeschmelze angeschwollene Bäche auf. Araukarienwälder wechseln sich ab mit weiten Hochflächen. Hier fühlt sich das Land wirklich an wie Südamerika.

Auf nach Argentinien

Argentinien empfängt uns mit strahlender Sonne. Den Grenzübertritt hatten wir uns wesentlich aufwendiger vorgestellt. Ruckzuck hatten wir unsere Stempel in den Pässen sowie die Dokumente für die Moppeds und schon ging es weiter.

So begrüsst uns Argentinien

Das eigentliche Problem offenbart sich indes erst in der nächsten Stadt. Mit keiner unserer Karten ist Geld zu bekommen. So sind wir angewiesen auf Läden, die Kreditkarten als Zahlungsmittel akzeptieren. Argentiniens Finanzkrise und ein erneut drohender Staatsbankrott wirkt sich spürbar auf den Alltag der Menschen aus. Und leider auch auf uns.

Immer weiter nach Süden führt uns die Piste, eng am Rio Alumine entlang, dessen smaragdgrüne Fluten sich immer wieder in weiße Wildwasserpassagen wandelt. Immer weiter fahren wir in einen Canyon hinein, die spärliche Vegetation ist gegenwärtig noch am Austreiben, die vereinzelten Bäume stehen indes schon in voller Blütenpracht. Immer höher erheben sich die Felswände und bilden bizarre Formationen aus. Wir sind in der Region Patagonien angekommen !

Rio Alumine

Da wir Campingplatz oder Unterkunft mangels Cash ohnehin nicht bezahlen können, suchen wir uns für die Nacht einen idyllischen Fleck im Canyon, direkt am Rio Alumine. Der bringt uns mit seinen reißenden Fluten bei Nacht sein Ständchen dar.

Stormwarriors

Tags darauf lernen wir Patagonien von einer anderen, aber ebenso typischen Seite kennen. Wir erreichen auf unserer Piste eine weit gestreckte, äußerst karg bewachsene Hochebene, auf der ein starker und immens böiger Wind herrscht. Kurz vor Junin de los Andes wächst sich der Wind in einen wahren Orkan aus, der uns immer wieder beutelt. Streckenweise fahren wir angesichts des Seitenwinds in Schräglage geradeaus und müssen höllisch achtgeben, in den Böen nicht in den Gegenverkehr zu geraten.

Angesichts dieser Wetterunbilden beschließen wir, uns in ein Hostel einzumieten. Eine gute Wahl denn bei Nacht hören wir immer wieder wie sich von den maroden Buden um unser Hostel herum Teile von Dächern lösen und klappern. Selten haben wir solch starken Wind erlebt, der nicht zu einem Sturmtief gehört. Auch am nächsten Tag ist an Fahren nicht zu denken. Wir sitzen also wieder einmal fest. Ohne Geld und ohne Ahnung, wann und wie es weiter geht.

Kilometer: 3758

Unsere Route könnt Ihr ab sofort hier verfolgen.