Das Leben schreibt die unglaublichsten Geschichten: Mit Getriebeschaden sind wir Mitte August ausgerechnet in Alaska gestrandet. Doch wir finden eine unkonventionelle Lösung – dank der selbstlosen Hilfe zweier Paraguayos und zweier Amerikaner in einem ganz und gar nicht alltäglichen Gefährt.
Im ersten Gang fährt Tom hinüber zum Campingplatz von Glennallen, Alaska. Ein mäßig attraktiver Platz inmitten von vier-, sechs- oder zehnrädrigen Spritschleudern in Doppelhausgröße, auf dem wir unser Zelt aufschlagen. Es hat angefangen zu schütten, wir frieren, sind an einem neuerlichen Tiefpunkt und verbringen den Abend bei viel Frustbier.
Rückblende: Beim Abfahren Richtung Haines ließ sich die Dakar nicht mehr schalten. Diagnose: Getriebeschaden. Telefonate mit mehreren Werkstätten im rund 500 Kilometer entfernten Anchorage ergaben Reparaturkosten zwischen 4000 und 5000 US-Dollar, plus 1000 weitere für den Transport und möglicherweise einen ganzen Monat in der sündteuren und dennoch verschlafenen Großstadt. Unterm Strich der Gegenwert eines nagelneuen Motorrads. Für uns inakzeptabel.

Uns stockt der Atem
Freund Fred hat uns angeboten, die havarierte BMW in seiner Werkstatt in Clearwater, British Columbia, zu reparieren. Doch der Blick auf Google Maps weist eine Distanz von 2500 Kilometern bis in das Kleinstädtchen aus. Auf der anderen Straßenseite sehen wir eine U-Haul-Niederlassung, die Transporter vermietet. Doch bei der Kostenauskunft von 2900 Euro plus Sprit stockt uns erneut der Atem.
Die Mädels im nahen Besucherzentrum helfen uns nach Kräften mit ihrem Telefon und ihren Rechnern aus, denn unsere SIM-Karten sollten in Alaska funktionieren, tun sie aber nicht. Ein Rip-off der Telefongesellschaft. Wir posten auf rund 20 Facebook-Seiten, dass wir eine Mitfahrgelegenheit für eine Person und ein Motorrad nach Kanada suchen, kommunizieren mit gefühlt hunderten von Speditionen und Autovermietungen. Keine Lösung in Sicht. Sollte es das gewesen sein? Ist unsere Reise über nunmehr 100.000 Kilometer nun tatsächlich beendet?
Mehrere Tage gehen ins Land, ohne Rückmeldung. Wir sind verzweifelt und wissen nicht weiter. Alle vermeintlichen „Lösungen“ sind hochgradig unwirtschaftlich. Doch dann poppt eine Nachricht eines US-Amerikaners aus dem Äther. Dave aus dem Bundesstaat South Carolina an der Ostküste sei mit seiner Frau Debbie in Valdez, südlich von Glennallen. Mit einem „Semi-RV“, einem Toyhauler seien sie unterwegs und fragen, ob das Motorrad auf die Zugmaschine passe. Wir verstehen nur Bahnhof.
Verblüffen ohne Ende
Dave schickt ein Bild ihres kleinen, handlichen Wohnmobils. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Und erinnern uns gar an das riesige Gefährt. Es handelt sich um den weißen Sattelzug, den wir bereits auf dem Weg nach McCarthy gesehen haben, und über dessen „Minimalismus“ wir uns trefflich das Maul zerrissen haben. 76 Fuß lang mit einer Freightliner Zugmaschine! Und im Heck eine Garage für ein SUV!
Uns ist etwas mulmig bei dem Gedanken, mit völlig Fremden drei Wochen auf engstem Raum zu verbringen. Andererseits denken wir, dass Menschen, die uns anbieten, uns in ihrem rollenden Palast aufzunehmen, sehr entspannte Zeitgenossen sein müssen.

Vier Tage später rollt das weiße Monster auf den Rasthof von Glennallen, begleitet von einem weiteren, noch größeren Sattelzug. Nun ja, in den USA ist alles etwas größer. Wir treffen Dave und Debbie. Sehr sympathisch auf Anhieb! Steve aus dem anderen RV hat eine Rampe dabei, über die wir die Dakar aufs Deck des Freightliner schieben und verzurren. Irgendwie müssen wir uns immer wieder kneifen, so irreal wirkt das, was da gerade geschieht auf uns.

Vom Biker zum Trucker
Tom steigt in den Fond des Trucks, Andrea folgt dem Lkw auf der GS. Angesichts der schieren Größe der Gefährte geht alles recht behäbig voran. Tom staunt Bauklötze, als Dave ihm seinen Plan zeigt. Die gesamte Reise hat er minutiös vorgeplant. Jede Übernachtung, jede Kaffeepause und jeden Pinkelstopp. Auf Google Earth hat er jeden RV-Park zuvor begutachtet, ob das Monster-RV auf den Platz passt, die Biegungen nicht zu eng und die Einfahrten nicht zu schmal sind. Ein Ausmaß an Planung, das uns völlig fremd ist. Wir sind es gewohnt, am Abend zuvor die Strecke für den kommenden Tag zu planen – und den Plan wieder über den Haufen zu werfen, sobald wir etwas Interessantes entdecken.

In Haines haben die Wohnmobilisten einen RV-Park für 5 Nächte gebucht. Uns soll es recht sein, das beschauliche Kleinstädtchen war ohnehin unser Ziel. Am zweiten Tag indes verliert der Freightliner-Motor 50 Kilometer hinter Tok dramatisch an Leistung. Wir kommen kaum mehr vom Fleck und steuern die nächste Haltebucht an. Die Membran des Turbo-Überströmventils ist defekt. Damit fiel der Turbolader aus, die Folge war eine stark verminderte Motorleistung. Wir versuchen mit allen Mitteln das Bauteil zu reparieren, doch alle Versuche schlagen fehl.

Weder in Anchorage, noch in Fairbanks ist das Teil verfügbar, und so sind wir einmal mehr gestrandet – diesmal in Gesellschaft. Wir richten uns am Straßenrand häuslich ein. Hinter dem Hügel oberhalb können wir in Ruhe unser Zelt aufschlagen. Immerhin schüttet es nicht wieder.

Drei Tage später schließlich trifft das bestellte Bauteil in Fairbanks ein. Wir laden das SUV aus und machen uns zu viert auf den Weg in die mit gut 30.000 Einwohnern zweitgrößte Stadt Alaskas. Noch am Abend bauen wir das neue Ventil in die Zugmaschine. Mit Erfolg, der Truck tut wieder das, was er soll. Da wir nun drei Tage verloren haben, beschließen die Amerikaner, die Reservierung für den Park in Haines zu stornieren und direkt den Marsch gen Yukon und British Columbia anzutreten. Steve will schneller unterwegs sein und spaltet sich ab. Wir vier hingegen legen einen Zwischenstopp in Carcross ein und fahren mit dem SUV hinunter nach Skagway, dem beschaulichen und so schönen Goldrush-Städtchen, wo wir im Juli bei unserem Freund Joe eine gute Woche verbracht und die Feier zum 4. Juli erlebt haben. Joe führt uns seine Rokon vor – ein Allradmotorrad, auf das er besonders stolz ist. Auch wir dürfen auf dem knatternden Zweitakter mit den Ballonreifen eine Runde drehen.

Auf der Jagd nach dem Lachs
Wir sind bereits aufgeregt, denn wir wollen noch einmal hinunter nach Hyder, jener abgelegenen kleinen Geisterstadt am Ende des Portland Canals, ganz am Südostzipfel Alaskas. Wir waren auf dem Weg gen Norden zwar bereits in der „Friendliest Ghosttown“, doch kamen wir für ein Ereignis zu früh, für das Hyder bekannt ist. Im Spätsommer schwimmen hier Lachse zu Abertausenden den Fluss hinauf, um an dessen Oberlauf zu laichen. Das ruft jede Menge Bären auf den Plan, für die die Fische eine willkommene Delikatesse sind. Denn für den bevorstehenden Winterschlaf muss sich Meister Petz eine ordentliche Fettschicht anfressen.

Im benachbarten Stewart beziehen wir einen herrlich grünen, von Berghängen umgebenen RV-Park, als es wieder wie aus dem berühmten Eimer zu schütten beginnt. Wir dürfen im Toyhauler schlafen, das SUV bleibt draußen. Als der Regen nachlässt, fahren wir hinüber nach Hyder und sehen einen jungen Grizzly, der angesichts seines jugendlichen Alters noch etwas unbeholfen, aber erfolgreich nach den großen Fischen jagt. Die Ranger haben ihn in Anlehnung an seinen markanten Gang „Runner“ getauft. Die Lachse sterben nach dem Ablaichen. Der Fluss ist gesäumt mit toten Fischen, zwischen denen sich ihre noch lebenden Artgenossen stromaufwärts zwängen. „Die kommen hier schon an wie die Zombies. Aber ihre toten Körper geben der Natur jede Menge Nährstoffe zurück“, erklärt uns eine junge Rangerin.
Wir machen uns auf, hinauf zum Salmon Glacier, den wir ebenfalls bereits gesehen haben. Doch für Dave und Debbie ist er neu. Immer wieder verhüllen Wolken den Blick auf den Gletscher, um ihn wenig später wieder freizugeben.

Immer wieder fahren wir zum Fish Creek hinüber, und jedes einzelne Mal sehen wir Runner, der sich den Magen vollschlägt. Andere Bären lassen sich während unseres Besuchs nicht blicken. Angeblich kommt regelmäßig ein Schwarzbär vorbei. Zu sehen bekommen wir den allerdings nie. Es ist Ende August und wir sind schon sehr spät im Jahr.

Gegenseitiges Interesse
Mit Dave und Debbie entwickelt sich über die Zeit eine enge Freundschaft, völlig weggewischt sind unsere anfänglichen Bedenken hinsichtlich des gemeinsamen Reisens. Wir erhalten Einblicke in eine völlig andere Art zu Reisen, auch wenn wir so etwas sicher nie in Betracht ziehen würden. Und die beiden Freizeit-Trucker interessieren sich brennend für unseren Lifestyle – einer, auf den sie vorher noch nie gestoßen sind. So vergehen die Tage und langsam aber sich nähern wir uns unserem Ziel Clearwater. In Prince George treffen wir für einen Abend unsere Freunde Scott und Pippa, mit denen wir uns zum Essen verabreden.

Wir kommen an in 108-Mile-House. Von hier ist es ein Katzensprung hinüber nach Clearwater, und unser Freund Fred holt uns mit Pickup und Anhänger ab. So müssen wir Abschied nehmen von Dave und Debbie. Einmal mehr ein trauriger Moment, denn wir haben die beiden von der Ostküste sehr ins Herz geschlossen.

Zum dritten Mal in Clearwater
Wir sind verblüfft, als Tavo aus dem Pickup steigt. Den Motorradreisenden aus Argentinien haben wir in Costa Rica getroffen, und momentan weilt er ebenfalls bei Fred und Rosella in Clearwater.

Licht und Schatten
Tags darauf schieben wir die Dakar auf die Hebebühne in Freds Werkstatt. Von außen ans Getriebe zu kommen ist nicht möglich, daher müssen wir den Motor ausbauen und komplett zerlegen. Profimechaniker Fred hilft nach Kräften, wenn es hakt. Zylinderkopf, Zylinder und Kolben müssen weichen. Dabei tritt Erstaunliches zutage. In zweierlei Hinsicht. Der Zylinder sieht nach 120.000 Kilometern aus, wie wenn er nie gelaufen wäre. Auch der Kolben zeigt sich grundsätzlich gesund, allerdings ist der Steg zwischen den Kolbenringen auf etwa einem Drittel des Umfangs ausgebrochen und fällt uns beim Abziehen des Zylinders entgegen. Wir sind erstaunt, und auch Fred hat das bei einem Motorradkolben noch nie gesehen.

Größtes Hindernis ist das Abziehen des Polrads. Ein spezieller Abzieher, Heißluft und brachiale Gewalt zeitigen schließlich Erfolg. Als alles zerlegt ist, offenbart sich der Urheber des Schadens: Eine Plastikscheibe auf der Schaltwalze, die dem Leerlaufschalter nur an einer Stelle – dem Leerlauf – Kontakt gewährt. Zwei kleine Fragmente finden wir davon noch, der Rest ist vermutlich im Getriebe zermahlen worden. Ein hirnrissiges Konstrukt, das mit den Jahren angesichts der Alterung von Plastik unweigerlich Probleme mit sich bringt – und so gar nicht zur ansonsten sehr soliden Bauart des Rotax-Einzylinders passt.

Teile aus Deutschland, Kanada und China
Wir machen minutiös Bestandsaufnahme, bestellen die Teile in Deutschland zu unserem Freund Kai, der sie stante pede zu uns nach Kanada weiterschickt. Reifen, Kettensätze, Schmierstoffe und mehr finden wir in Kanada, die Kleinteile wie Dichtungen, Ventilshims und Simmerringe liefert AliExpress.
Wir arbeiten an den Bikes jeden Tag von morgens bis abends. Wenn nicht am Motor, dann an Reifen, Ketten, Schaltern, Bremsen, Elektrik und mehr. Unser Ziel ist es, die Motorräder in einer großen Komplettrevision in einen technischen Topzustand zu versetzen. Schließlich wollen wir sie nach Südost-Asien verschiffen und auf dem Landweg nach Deutschland zurückfahren, sofern die jeweilige politische Lage in den betreffenden Ländern es zulässt.

Es wird Winter in Kanada
Die Wochen gehen ins Land, und uns wird Bange, denn die Temperaturen fallen zusehends. Nachts herrscht Frost, und die umliegenden Hügel sind bereits mit Schnee überzuckert. Der Winter ist im Anmarsch, und bis zum Verschiffungshafen Vancouver sind es noch 400 Kilometer Fahrt. Doch es ist auch die perfekte Jahreszeit um Nordlichter zu sehen. Starke Sonnenaktivität ist angekündigt, und so nimmt uns Rosella mit zu Tochter Daisy, von wo aus wir einen unglaublichen Blick auf die Himmelserscheinung genießen. Grün, rot und violett tanzen die Lichter am Himmel. Ein irres Spektakel, dem wir trotz eisiger Kälte stundenlang zusehen.

Schließlich ist der Motor wieder zusammengesetzt und eingebaut. Nach einigen Startschwierigkeiten wegen falscher Steuerzeiten läuft die Dakar schließlich. Und Tom fährt den generalüberholten Motor bei strahlendem Sonnenschein sorgfältig ein.
Nach rund zwei Monaten schließlich ist der Zeit zum Abschied gekommen. Von Fred und Rosella, die uns so viel und so uneigennützig geholfen haben. Und von Clearwater und seinen Einwohnern, von denen wir viele kennen lernen durften.

Es ist mittlerweile Anfang November. Bei minus drei Grad machen wir uns auf den Weg gen Vancouver, wo die beiden BMW aufs Schiff gen Malaysia verladen werden sollen. Bei Kamloops haben wir mangels Winterhandschuhen bereits jedes Gefühl in den Fingern verloren. Doch langsam wird es wärmer und nach rund sechs Stunden erreichen wir schließlich die Metropolregion.

Geht es doch nicht mehr weiter?
Täglich warten wir auf das Go von unserem Agenten, doch im Hafen wird gestreikt. Trotz Sightseeing und Touren rund um die mäßig attraktive Großstadt wächst unsere Nervosität. Nach fast drei Wochen noch immer kein Anzeichen einer baldigen Verschiffung. Wird unser Traum von Asien in letzter Minute doch noch platzen? Alles sieht danach aus…
Kilometer: 75152 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
Fotos:
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