Imposante Landschaften und Vulkane auf dem Altiplano und faszinierende Städte, wie La Paz und Arequipa erwarten uns – und langsam bekommen wir Übung im Umgang mit Bürokraten und Amtsschimmeln. Doch die Pleiten, Pech und Pannen wollen einfach nicht abreißen. Ein weiteres mal sitzen wir fest.
Ungewiss, was uns erwarten wird, betreten wir die Höhle des Löwen. Unser „Lieblingsamt“ heißt „SUNAT“, die peruanische Zollbehörde. Bei der Ausreise in Tilali am einsamen Nordufer des Titikaka-Sees gilt es, die Zoll-Papiere der Motorräder ausgestempelt und aus dem System gelöscht zu bekommen. In dem schummerigen und von Essensgeruch durchzogenen Büro treffen wir auf den Amtsschimmel, der sich noch eben die Uniform zurechtzupft und die Schulterklappen ordnet, bevor er uns mit Kasernen-Ton und erhabenen Gesten klar macht, wer der Herr im Ring ist. Nicht unfreundlich, aber recht bestimmt versucht er uns zu bedeuten, dass wir zum nächsten Grenzübergang fahren müssen. Der Grund: Das kleine, muffige Büro hat keinen Strom, und so kann der beflissene Beamte weder auf das IT-System zugreifen, noch etwas ausdrucken. Zu allem Überfluss funktioniert noch nicht einmal die Klospülung, wie Tom nach dem Lokusgang mit gedämpftem Genuss preisgibt.
Nach Kasani zu fahren kommt nicht infrage, denn das wären über sechs Stunden Fahrt – neben Schwielen am Hintern bedeutet das auch erhebliche Spritkosten. Je mehr wir dem Mann von uns erzählen, desto besser wird seine Stimmung und sein Interesse ist geweckt. Und damit auch seine Hilfsbereitschaft. Schließlich lässt er sich breitschlagen, per Handy bei einem anderen Posten anzurufen und dort die BMWs austragen zu lassen. Die Papiere schickt er per WhatsApp-Foto, der kooperierende Grenzübergang schickt die notwendigen Dokumente auf gleichem Weg. Selten hat es geklappt, mit SUNAT-Beamten auf dem freundlichen Weg zum Ziel zu kommen. Hier ging es mit Schirm, Charme und Melone. Die Polizisten am Schlagbaum bestehen auf Selfies mit uns – freilich mit Kalaschnikow vor der Brust und bitterernstem, aber dennoch wohlwollendem Gesichtsausdruck. „Da, wo der Asphalt aufhört fängt Bolivien an“ rufen sie uns noch lachend hinterher, als wir abfahren.
Die Suche nach dem Beamten
Und tatsächlich empfängt uns Bolivien auf höchst ruppige Art: Die 12 km bis zum Grenzort Puerto Acosta verlangen uns mit Fels und jeder Menge Tiefsand fahrerisch einiges ab. Dort geht die Prozedur von vorne los. Zunächst zum Migrationsbüro. Viele Gringos scheinen hier nicht durchzukommen, denn der Beamte hat Probleme, uns im System zu registrieren, weil wir jeweils nur einen Nachnamen haben. Wo gibt’s denn so was? Da muss er sich erst mal telefonische Hilfe zum Ausfüllen holen.
Das Zollbüro befindet sich schräg gegenüber. Die Tür steht offen, allerdings ist das Zugangstor verschlossen. Geschlagene zwei Stunden hämmern wir dagegen, werfen Steine an die Fenster und rufen in unflätigster Manier deutsche Floskeln, doch es tut sich nichts. Die Beamten vom Migrationsbüro sind auch ratlos. Schließlich fahren wir mit einem von ihnen zu dem Zollbeamten nach Hause wo uns die Mutter öffnet. „Mein Sohn ist doch schon den ganzen Tag bei der Arbeit“, so ihre Aussage. Vielleicht hat er ja noch nen Nebenjob. Wenigstens ruft sie ihn an und wir fahren zurück wo er dann auch endlich das Tor aufschließt und uns die nötigen Papiere für die Motorräder ausstellt. So haben wir fast den ganzen Tag mit diesem Grenzübertritt vertrödelt. Es dämmert schon als wir endlich losfahren und uns ein Hostel für die Nacht suchen.
Wir treffen unseren Helden wieder
Am nächsten Tag geht es auf direktem Weg nach La Paz. Um zum Campingplatz Las Lomas zu gelangen, müssen wir uns quer durch den irrwitzigen Verkehr von El Alto, der westlich an La Paz grenzenden Großstadt, quälen. Die Wiedersehensfreude mit Marcos, dem Inhaber, ist groß. 2020 waren wir schon einmal vor Ort und haben gemeinsam mit dem genialen Mechaniker in seiner Werkstatt unsere Motorräder und große Teile des Equipments auf Vordermann gebracht.
Ursprünglich hatten wir vor, hier die Motorräder nach der zweijährigen Zwangspause technisch topfit zu machen, aber vieles haben wir aufgrund des desolaten Zustands der Kälber schon in Chaclacayo erledigen müssen, einige neue Probleme mussten wir noch auf dem Weg lösen. Trotzdem reicht die To-do-Liste von La Paz bis Düsseldorf, und mit jedem behobenen Mangel tauchen zwei neue auf.
Über 50 Punkte auf der Reparaturliste
Weit über 50 Reparaturen und Besorgungen stemmen wir zusätzlich zu jeder Menge organisatorischen Krams. So kommt es, dass wir die nächsten 10 Tage hier verbringen und zusammen mit Marcos Reparaturen vornehmen, Teile besorgen, Klamotten zum Schneider bringen, Tankrucksäcke und Sitzbank zum Sattler etc. etc. Der Vorteil: Marcos kennt für jedes zu reparierende Teil die beste Werkstatt und für jedes Problem eine Lösung. Obendrein modifizieren wir unsere Bikes noch mit selbstgebauten Kühler-Schutzgittern.
Die Dakar benötigt nun schon die 2. Wasserpumpe – nach nicht einmal 15.000 km. Zuvor wurde sie bereits in Ushuaia getauscht. Nachdem alles zusammengebaut ist, hören wir ein ratterndes Geräusch vom Lüfter. Zum Glück lässt sich der Ventilatormotor hier für umgerechnet gerade mal 30 Euro rundum überholen. Zwischendurch fahren wir mit dem Minibus ins Zentrum von La Paz, um auf dem Markt alle möglichen Früchte zu probieren und machen eine Rundfahrt „über“ die Stadt mit dem ausgedehnten Netz an Teleféricos (Seilbahnen).
Wir verlassen den Großstadt-Moloch gen Tiwanaku, einer der bedeutendsten archäologischen Stätten in Bolivien, an denen die Bauten von vorinkaischen Kulturen in der Zeit zwischen 1500 vor bis 1200 nach Christus erforscht werden. Wir wandern durch die Ruinen und bestaunen die akkurate Architektur der Tempel sowie die Monolithen und Skulpturen.
Dann zieht es uns weiter und wir fahren wieder zum Titikakasee. Wir wollen noch einmal zur Halbinsel von Copacabana, die wir 2020 schon besucht haben. Vor 2 Jahren haben wir an der engsten Stelle des Sees auf einem wackeligen Holzfloß zur Halbinsel übergesetzt. Nicht nochmal, denken wir und nehmen lieber den kürzeren Weg von Süden her, welcher allerdings 2 Grenzübertritte beinhaltet, da wir ein Stück durch Peru fahren müssen.
Der Kampf um die Ausreise
In dem Grenzort Desaguadero reihen wir uns in die LKW-Schlange zum Grenzposten ein. Leider geht es hier keinen Meter vorwärts also nutzen wir jede noch so kleine Lücke und kämpfen uns über eine Stunde lang zwischen den Kolossen durch. Eine schweißtreibende Prozedur, da oft nur Zentimeter Platz zwischen unseren Koffern und den LKW bleiben. Endlich stehen wir vor der Schranke. Der Beamte winkt uns zur Seite und fragt nach einem Dokument vom Gesundheitsministerium. Das Dokument kennen und haben wir nicht. Dass wir vier Covid-Impfungen vorweisen können, interessiert ihn nicht. Wir sollen zurück zum Ort fahren und über die Fußgängerbrücke nach Peru laufen, um dort das Dokument zu besorgen. Nach langer, fruchtloser Diskussion fahren wir über eine Sandpiste zu dem schmucklosen, verwahrlosten Ort zurück.
Wir fahren mitten durch den Markt
Es ist Markttag, und um die Brücke zu erreichen fahren wir mitten durch das Gewimmel von Ständen und Marktbesuchern. Andrea läuft hinüber, um das Ministerium zu suchen. Sie wird von A nach B und wieder zurück geschickt. Es stellt sich heraus, dass das Büro schon vor langer Zeit geschlossen wurde. Nun sollen wir mit dem Motortaxi eine halbe Stunde zu einem Krankenhaus fahren. Nach nunmehr bereits drei verlorenen Stunden kommt das für uns nicht infrage. Abermals fahren wir zum Grenzposten und versuchen unser Glück. Der bornierte Schikane-Beamte ist weg, sein Kollege winkt uns weiter. Ein halber Tag ist im Land, es ist bereits Nacht, als wir nach einem problemlosen zweiten Grenzübertritt schließlich im bolivianischen Copacabana einfahren und auf dem uns bereits bekannten Campingplatz unser Zelt aufschlagen.
Feuer löschen – mit Pipi und Gartenschlauch
Schon beim Zeltaufbau weht uns ein penetranter, kaum erträglicher Brandgeruch in die Nase und wir schimpfen auf die Nachbarn, die vermutlich – wie in Bolivien nicht unüblich – ihren Müll verbrennen. Als wir nach einem Schlummertrunk das Licht ausmachen, sehen wir einen Lichtschein und hören es laut knistern. Schnell springen wir aus dem Zelt und sehen wie etwa 2 Meter entfernt ein Haufen Grünschnitt lichterloh in Flammen steht. Im ersten Reflex muss die ohnehin volle Blase als Feuerlöscher herhalten. Der Geruch ist jedoch grenzwertig und die Wirkung überschaubar. Mit einem Gartenschlauch löschen wir das Feuer schließlich ganz und verhindern so mit Sicherheit einen größeren Brand. Selbst am nächsten Morgen steigt noch eine irrsinnige Hitze aus dem Haufen hoch.
„Ihr sprecht kein Aymara ???“
Wir fahren bis zum nördlichen Zipfel der Halbinsel nach Yampupata. Die Straße führt durch kleine beschauliche Dörfer und bietet beeindruckende Aussichten auf das Ufer und die vorgelagerten Inseln. Wir spüren die Ruhe, welche diese Gegend ausstrahlt und fühlen, dass trotz des wachsenden Tourismus im nahen Copacabana hier das Leben noch ursprünglich geblieben ist. Einer der einheimischen Fischer fragt uns höchst irritiert, ob wir denn kein Aymara sprechen.
Der Grenzübertritt nach Peru am nächsten Tag verläuft zum Glück auch wieder problemlos und wir verlassen den Titkakasee Richtung Westen. Kaum haben wir Puno hinter uns gelassen, beginnt auch schon die für diese Region typische Puna-Landschaft, eine sandig-steinige Steppenlandschaft auf der Altiplano-Hochebene. Die Fahrt verspricht erst mal öde und wenig abwechslungsreich zu werden. Zudem ziehen auch noch dunkle Wolken auf. Es wird kalt und fängt an zu regnen. Der Regen geht in Schnee über. Egal, dann machen uns halt warme Gedanken und bringen ein paar Kilometer hinter uns, denken wir. Aber als wir nach weiteren 100 km über das äußerst einsame Hochplateau in dem kleinen Ort Titire anhalten, wird uns klar, dass die nächste Ansiedlung mindestens noch 2 Stunden weg ist. Ob es da eine Unterkunft gibt, ist fraglich. Und hier oben auf 4400 Metern das Zelt aufschlagen? Wir sind jetzt schon durchgefroren.
Man will uns nicht haben
Im einzigen Hostel haben sie angeblich kein Zimmer für uns. Klar, wir sehen den großen Andrang in diesem verlassenen Kaff. Die sind bestimmt auf Monate ausgebucht. Diese Form des Alltags-Rassismus schlägt uns immer wieder entgegen – bei aller Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die wir ebenfalls oft erfahren. Aber nach einigem Rumfragen und mit Hilfe eines freundlichen Ladenbesitzers stellt sich heraus, dass dort plötzlich doch ein Zimmer für uns frei ist.
Die Nacht ist eisig kalt und wir frieren trotz der vier Lagen tonnenschwerer Alpakadecken. Am nächsten Morgen sind unsere Motorräder von einer dicken Eisschicht bedeckt. Aber auch in unserem Zimmer ist das Wasser und unsere Tomate fürs Frühstück gefroren. Die Motorräder müssen wir in die Sonne schieben und es dauert lange, bis wir sie starten können. „Es waren etwa -15°C heute Nacht“ erklärt uns die mürrisch-verbiesterte Wirtin. „Das ist gar nichts. Es kann auch schon mal bis -30°C hier oben werden“. Es sollten die einzigen Worte sein, die die Alte mit uns wechselt. Zeit, dass wir wieder in gemäßigtere Zonen kommen – menschlich wie klimatisch.
Aber erst mal machen wir noch einen kurzen Abstecher zu einem Highlight, welches unscheinbar am Straßenrand verborgen ist. Nur der penetrante Schwefelgeruch deutet darauf hin, dass es hier heiße Quellen gibt. Neben einer Brücke stehen bizarre Felsformationen im Fluss aus denen es heraussprudelt: Die Geysire von Titire. Die ganze Umgebung wirkt surreal und die Berge haben alle möglichen Farben von Ocker bis hin zu Grün. Überall blubbert und dampft es aus dem Wasser.
Auch die Weiterfahrt über die rund 260 Kilometer lange Schotterpiste ist alles andere als eintönig. Das staubige Band windet sich zwischen Bergen in unterschiedlichsten Farben und Formen hindurch. Die Straße führt in steilen Serpentinen hinab zu einem Fluss um auf der nächsten Seite wieder steil anzusteigen. Die Temperaturen sind angenehm hier und wir beschließen, unser Zelt am Fluss aufzuschlagen, um uns am nächsten Tag schließlich wieder in die Höhe zu schrauben.
Wir passieren ein kleines Plateau, von dem aus sich ein faszinierender Blick auf den imposanten Vulkan Ubinas bietet. Mit seinen 5672 Metern und seiner markanten Form ein echter Hingucker. Von weitem schon können wir die Laguna las Salinas sehen, ein knapp 370.000 Hektar großer Salzsee.
Bis wir dort ankommen sind wir komplett durchgeschüttelt, da es kilometerlang über eine üble Waschbrettpiste geht. Sicherheitshalber schauen wir, ob noch alles an den Motorrädern dran ist. Schließlich fahren wir bis Arequipa, einer der schönsten Städte Perus, zu Füßen von gleich 3 mächtigen Vulkanen. Hier wollen wir uns bei angenehmen Temperaturen von um die 25°C mal wieder aufwärmen.
Die nächsten Tage bummeln wir durch die Stadt. Wir können kaum glauben, dass es sich um die zweitgrößte Perus handelt. So angenehm und wenig überlaufen ist es hier. Viele der historischen Gebäude wurden aus dem weißen Sillar-Gestein vulkanischen Ursprungs erbaut. Wir wollen mehr darüber erfahren und machen einen Ausflug dorthin, wo das Gestein abgebaut wird. Einige Steinmetze präsentieren hier ihre Arbeiten, unter anderem eine Pyramide mit Kamel und noch viele weitere Figuren. Anschließend besuchen wir die Quebrada de Culibrillas, eine enge Schlucht die sich wie eine Schlange durch die Landschaft windet. In der Schlucht haben sich Angehörige der Wari-Kultur mit ihren Felszeichnungen verewigt.
Irgendwann haben wir aber genug von der Stadt, uns zieht es weiter durch die Wüste bis zum Valle de Majes (Tal des Flusses Majes). Wie eine Oase zieht sich dieses grüne Tal durch die sonst staubigen Berge. Unsere nächsten Ziele sind das Valle de Volcanos (Tal der Vulkane) und der Cotahuasi Canyon, in dem wir 2020 in der Pandemie bereits 5 Wochen in Ausgangssperre gesessen haben. Aber die GS macht uns abermals einen Strich durch die Rechnung. Denn plötzlich meldet sich mal wieder die Temperaturanzeige. Mit einigen Stopps zum Abkühlen schaffen wir es noch zu einem Campingplatz, um dort der Sache auf den Grund zu gehen. Wieder einmal stecken wir fest und unser Frust sitzt tief…
Kilometer: 3312 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
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