Wir ertappen die Verbrecher auf frischer Tat. Mit der Machete in der Hand stellt unser Guide Alex die illegalen Holzfäller zur Rede. Die Situation droht zu eskalieren…

Doch von Anfang an: Wir verlassen die Metropolregion La Paz durch den chaotischen Verkehr, mit Straßen, wie wir sie steiler noch nie gefahren haben. Von La Paz aus führt uns die Passstraße über einen wolkenverhangenen Sattel, um auf der anderen Seite der Cordillera Real mit vielen Kurven und wenig Verkehr wieder bergab zu führen. Wir verlieren immer mehr an Höhe, die Temperaturen steigen, schließlich zeigt sich die Sonne und taucht die Landschaft in stetig wechselnde Farben. Wir durchqueren auf unserer Motorradreise die Yungas – jenen Landstrich, der mit seinen beiden tausende Meter tiefen Tälern den Übergang zwischen der Hochebene Altiplano und dem tropischen Amazonasbecken bildet.

Durch die Yungas

Auch an der Vegetation erkennen wir, dass wir in tropische Gefilde unterwegs sind. Trotz der vielen äußerst schlammigen Passagen bereitet uns die kurvenreiche Schotter-Strecke einen diebischen Spaß. Wäre da nicht die Dakar, welche einmal mehr Aufmerksamkeit benötigt. Diesmal ist es ein lautes Schleifgeräusch von der vorderen Bremsscheibe. Auch mehrfaches Zerlegen der Bremse am Straßenrand bringt uns nicht weiter. In Caranavi, der nächsten Stadt, fahren wir also mal wieder in eine Werkstatt.

Es ist Samstag Nachmittag und die Schrauber haben wenig Lust, noch zu arbeiten. Manche der vorgeblichen Mechaniker weisen uns sofort ab, andere reden noch nicht einmal mit uns. Wir werden immer weiter geschickt bleiben jedoch hartnäckig. Zuletzt landen wir in der angeblich größten Motorradwerkstatt der Stadt.

Ein Meister seines Fachs

Der Mann stellt die abenteuerlichsten Diagnosen. „Qualitativ schlechte Bremsbeläge“, so die Expertise. „Brembo Sintermetall“, entgegne ich, „300 Kilometer gelaufen“. Der Spezialist hat den Hersteller-Namen noch nie gehört, was bei uns sämtliche Alarmglocken läuten lässt. Immer wieder lässt der Dilettant Bremsflüssigkeit ab. Was das mit einem rhytmischen Schleifen an der Bremsscheibe zu tun haben soll, lässt er unbeantwortet. Immer wieder Probefahrt um den Block, immer wieder – natürlich – mit dem selben Ergebnis. Irgendwann schleift er die Bremsbeläge komplett plan. Ergebnis: Keine Bremswirkung mehr, Schleifen immer noch da. Schließlich entdeckt der Vollblutmechaniker einen neuen Schuldigen: den Kettenantrieb. „Das ist alles kaputt, sogar das Kettenblatt lässt sich bewegen“, doziert er und zieht hilflos an dem Bauteil. Wir machen uns nicht mehr die Mühe, dem Mann zu erklären, dass die allermeisten großen Motorräder ihren Kettenantrieb in Gummi-Ruckdämpfern gelagert haben. Auch auf die Frage, warum die Kette schuld sein soll, wenn die vordere Bremsscheibe heißläuft, hat er keine Antwort. Frustriert suchen wir das Weite.

Manches Problem löst sich selbst

Da es schon spät geworden ist suchen wir uns eine Unterkunft für die Nacht und beschließen, das Risiko der restlichen 350 Kilometer bis zu unserem Ziel Rurrenabaque einzugehen. Das Geräusch zerreißt jedem Biker das Herz. Doch wie durch ein Wunder ist das Schleifen am nächsten Tag nach den ersten 50 Kilometern verschwunden. Das dürfte unsere Vermutung bestätigen, dass durch den ganzen Dreck, Staub, Wasser und Schlamm einer der Bremskolben fest gehangen und sich jetzt wieder gelöst hat. Wie auch immer, Hauptsache wir kommen weiter.

Auf der Strecke nach Rurrenabaque müssen wir immer wieder anhalten und warten, da sich durch den täglichen heftigen Regen an mehreren Stellen Geröll vom Berg gelöst und die Straße verschüttet hat. Aber Bagger sind auch schon vor Ort, um uns den Weg wieder frei zu machen.

In den Dschungel

Von Rurrenabaque aus machen wir eine mehrtägige Tour in den Amazonas-Regenwald. Mit dem Boot fahren wir zweieinhalb Stunden den Rio Beni hinab ins Serere Naturreservat wo wir in der Dschungel-Lodge von Madidi-Travel unser Quartier beziehen. Das besteht aus einer Holzhütte, die außer von einer Tür rundum einzig von Moskitonetz vom Dschungel abgetrennt ist. So lässt sich das pulsierende Leben im Urwald sogar vom Bett aus beobachten.

Hier bietet sich uns ein wahres Paradies, mitten im Regenwald, fernab jeglicher Zivilisation. Kein Handyempfang, keine Elektrizität, kein Telefon. In der Lodge arbeiten ausschließlich Indigene. Und alle Erlöse von Madidi Travel fließen in den Schutz des 4000 Hektar großen Nature Reserve. Das gab für uns den Ausschlag, Madidi Travel auszuwählen.

Kaiman

Mit Guide Alex und Jackie, Ann und Nick aus England machen wir Wanderungen durch den Regenwald. Dabei lernen wir viel über die Pflanzen und Tiere, die hier ihren Lebensraum finden. Alex erklärt uns, welche Pflanzen als Medizin genutzt werden können, welche Früchte essbar und welche Spinnen giftig sind. Er gehört einem Indio-Stamm nahe der brasilianischen Grenze an und hat bis zum 12. Lebensjahr noch nie Menschen gesehen, die Kleidung getragen haben. Als Kind wurde er von der Malaria heimgesucht, aber mithilfe eines Tees aus Baumrinde hat er die Tropenkrankheit besiegt. „Der Dschungel gibt dir alles, was du zum Leben und Überleben brauchst“, so der heute 32-Jährige.

Ein Baumharz gegen den Bienenstich

Eine Heldin für die Natur

Alex erzählt uns obendrein viel über die Geschichte des Reservats und seine Gründerin Rosa Maria Ruiz. Serere war einst ein unberührter Urwald, der komplett abgeholzt und für eine Zuckerrohr-Plantage missbraucht wurde. Rosamaria hat sich Zeit ihres Lebens für den Schutz der Natur und der indigenen Völker eingesetzt. Und für die Unterschutzstellung der fragilen Ökosysteme. Sie kaufte das Gebiet, befreite es von zig Tonnen von Müll und forstete es wieder auf. Nach und nach wanderten die Urwaldbewohner wieder ein und Serere wurde wieder zu einem naturbelassenen Regenwald. Der nahe Rurrenabaque gelegene Madidi Nationalpark wurde eingerichtet, nachdem Rosa Maria den Schutzstatus forciert hatte. Der Regierung und den Industriellen war sie indes stets ein Dorn im Auge, man trachte ihr und ihrem Team mehrmals nach dem Leben, brannte zwei mal ihre Hütten nieder und schikanierte sie nach Kräften. Doch die resolute alte Dame ließ sich nie unterkriegen. Dadurch ist sie für die Regierung noch heute sehr unbequem. Dies macht sie uns umso sympathischer, die Welt braucht unbequeme Leute.

Ökoaktivistin Rosa Maria Ruiz

Auf einer Nachtwanderung sehen wir viele Spinnen und andere nachtaktive Tiere. Anderntags geht es mit dem Kanu auf den See wo wir vom Boot aus viele Vögel, Affen und auch Kaimane sehen können.

Ein Ständchen von Fischen

Ein absolutes Highlight ist jedoch die nächtliche Bootstour. Hier bekommen wir ein Konzert der Extraklasse geboten. Unter grandiosem Sternenhimmel sehen wir, wie am Ufer Millionen Lichter funkeln. Das sind die Glühwürmchen. Dazu geben Frösche, Grillen, Vögel und sogar Fische ein Konzert als hätten sie es gemeinsam eingeübt. Singende Fische, kein Witz! Ein unbeschreibliches Erlebnis.

Am nächsten Morgen werden wir von den Brüllaffen geweckt. Bei unserer Wanderung zum Pinky Lake stoßen wir auf die Innereien von Wild. Schnell erkennen wir, dass diese Tiere gewildert wurden. Eine Patronenhülse am Wegesrand bestätigt dies. Wir machen ein paar Beweisfotos, das Jagen hier im Naturreservat ist natürlich illegal.

Spuren von Wilderei

Kriminelle gestellt

Einige Kilometer weiter entdecken wir die Stümpfe frisch gefällter Bäume. Es handelt sich um gigantische, jahrhundertealte Zedern. Alex ahnt Schlimmes und drängt uns schnell weiter zu gehen. Hunderte von Metern zieht sich die Spur der gefällten Riesenbäume durch den Wald. Am See angekommen ertappen wir die illegalen Holzfäller dabei, wie sie die bereits zurecht gesägten Bohlen zusammenbinden und zum Transport zu Wasser lassen. Die Kriminellen behaupten dreist, die Bäume ganz legal außerhalb des Reservats gefällt zu haben. Die Diskussion heizt sich auf, Alex notiert sich die Namen kann aber sonst nichts weiter unternehmen. Wir schießen Bilder der Verbrecher-Visagen. Da hilft nur eins: Rosamaria muss her und sich der Sache vor Ort annehmen.

Der Tag der Abreise ist gekommen und wir haben unsere Hütte bereits vor dem Frühstück geräumt als Alex meint, er hätte schlechte Nachrichten für uns. Durch die vielen Regenfälle in den Bergen ist der Fluss so stark angestiegen, dass das Boot heute nicht kommen kann. Wir finden diese Nachricht eigentlich nicht soooo schlecht, im Gegenteil so kommen wir unverhofft zu einem extra Tag im Dschungel.

Unsere englischen Freunde Jackie, Ann und Nick

Am nächsten Nachmittag heißt es jedoch tatsächlich Abschied nehmen. Von Serere uns seinen Bewohnern, dem Madidi-Team und unseren britischen Freunden. Als wir Richtung Fluss laufen meint Alex, wir sollten die Rucksäcke jetzt lieber über Kopf tragen, da wir durch tiefes Wasser warten müssen. Erst nehmen wir ihn nicht wirklich ernst, sehen aber dann wie ihm plötzlich das Wasser bis zur Brust reicht. „Ihr habt schließlich ein Dschungelabenteuer gebucht“ lacht er zum Abschied.

Auf der Bootsfahrt zurück nach Rurrenabaque sehen wir, was das Wasser zerstört hat. Immer wieder muss das Boot Bäumen und Schwemmholz in der Strömung ausweichen. Der Fluss ist auf die dreifache Breite angewachsen.

Hölle Zivilisation

Schon von weitem hören wir laute Musik, als wir uns dem sonst so beschaulichen Städtchen nähern. Es ist Karneval und überall stehen große Lautsprecherboxen. Nach den ruhigen Tagen im Dschungel, ohne Strom und Internet für uns die Hölle.

So machen wir am nächsten Tag direkt noch eine Tour in die Pampas de Yacuma, ein buschbewachsenes Grasland, das von mehren Flüssen durchzogen wird und Momentan (Regenzeit) überflutet ist. Auf einer Bootstour sehen wir jede Menge Vögel aber auch Schildkröten und Affen.

Paradiesvogel

Eine Begegnung fürs Leben

Zum Abschluss wartet auf uns ein Erlebnis, wie wir es Zeit unseres Lebens noch nicht hatten: Wir durften mit den pinken Süßwasserdelfinen schwimmen. Eine sehr verspielte Spezies, die in einem der Flüsse heimisch ist. Immer wieder stupsen uns die Tiere unter Wasser an, tauchen unvermittelt vor uns auf zum Luftholen oder spritzen uns mit ihren Schwanzflossen an. Wir haben unglaublichen Spaß mit den Delfinen – und sie mit uns. Es macht uns tieftraurig, dass diese verspielten und so unglaublich liebenswürdigen Kreaturen vom Aussterben bedroht sind, weil ihr Lebensraum vom Menschen mehr und mehr zerstört wird.

Affen stehen tatsächlich auf Banane

Auf die Todesstraße

Bald machen wir uns wieder auf Richtung Süden, wir wollen die nördliche Yungas-Straße fahren. Die spektakuläre Strecke ist besser bekannt unter dem Namen „Camino de la Muerte“ oder „Death Road“. Den Namen bekam die Route zwischen Coroico und dem großen Warenumschlagplatz La Paz wegen seiner 200 bis 300 Verkehrstoten pro Jahr. Die einspurige Schotterstrecke, die sich an das praktisch senkrecht mehrere hundert Meter ins Tal abfallende Bergmassiv krallt, wurde bis 2007 auch von Schwerlastverkehr in beide Richtungen befahren. Das machte halsbrecherische Rangieraktionen und millimeternahes Entlangfahren am Abgrund nötig. Das ging häufig schief: 1983 stürzte ein Bus in die Schlucht und riss rund 100 Menschen in den Tod. Regelmäßige Felsabbrüche, auf die Strecke prasselnde Wasserfälle und eine von Lkw zermürbte Fahrbahn machten das Befahren noch gefährlicher. Seit 2007 gibt es eine neue, ungefährliche Strecke, seitdem sind auf der Death Road praktisch nur noch Mountainbiker unterwegs.

Also beziehen wir in Corroico Quartier um die Todesstraße ohne unser schweres Gepäck zu befahren. Leider ist es etwas bedeckt an diesem Tag. Was solls es kann ja noch werden, denken wir als wir den Berg hochfahren. Etliche Gruppen von Mountainbikern kommen uns entgegen. Viele scheinen aber nicht zu wissen, dass man hier links fahren muss. Der Grund: die links sitzenden Pkw- und Lkw-Lenker können so bei der Talfahrt die Nähe ihrer Räder zum Abgrund besser einschätzen. Das ist auch der Grund warum wir die Straße lieber hochfahren wollen, da wir so an der Bergseite sind. Nach einigen Kilometern sehen wir wie die Mountainbiker, Einer nach dem Anderen, über einen steilen, schlammigen Murenabgang samt ihrem Fahrrad herabgepurzelt kommen.

Wir schauen uns das Treiben eine Weile belustigt an. Müssen jedoch leider feststellen, dass dieses Stück zu steil und schlammig für die schweren BMWs ist und unsere Reifen hier keinen Grip mehr hätten. Hier wäre allenfalls mit einer Sportenduro mit Crossreifen Staat zu machen. So beschließen wir, wieder ins Tal zu fahren und über die neue Strecke zum oberen Startpunkt des Camino de la muerte zu gelangen. Doch als wir oben ankommen hat Regen eingesetzt, wir befinden uns in den Wolken und können durch den Nebel gerade noch die ersten 20 Meter der Straße sehen.

Enttäuscht geben wir das Vorhaben auf. Selbst wenn die Sicht etwas besser wäre ist der Reiz dieser Strecke für uns doch vor allem die grandiose Aussicht die man hier haben soll. Es sollte einfach nicht sein. So fahren wir am Tag darauf abermals durch den Großstadt-Moloch von La Paz und El Alto zum Titicacasee. In dem kleinen, touristisch geprägten Örtchen Copacabana schlagen wir auf einem Campingplatz unser Zelt auf. So unspektakulär das Städtchen auf uns zunächst wirkt – unsere Erlebnisse hier werden uns noch sehr lange in Erinnerung bleiben.

Lest im nächsten Blog, was sich hier zugetragen hat!

Kilometer: 17.491

Unsere Route findet Ihr wie immer hier

PS: Momentan sitzen wir in Peru in totaler Ausgangssperre fest und wissen noch nicht, wie es weitergeht. Aber wir sind wohlauf und haben tolle Gastgeber gefunden. Mehr dazu gibt es demnächst hier. Bleibt alle gesund und gebt auf Euch acht!