Schon wieder sitzen wir fest. Zum weiß-der-Herr-wievielten-mal. Und zu allem Überfluss werden wir in der misslichen Lage auch noch von einem Kriminellen betrogen. Doch wir geben nicht auf…
Auf dem Weg ins Tal der Vulkane macht Andreas GS wieder einmal Ärger. Zum wiederholten mal signalisiert das Warnlämpchen im Cockpit, dass es der BMW zu heiß wird. Also zur einzigen Motorradwerkstatt in Aplao, einem gottverlassenen Kaff in der Majes-Wüste. Der Trottel von Mechaniker bricht beim Versuch, den Lüfter zu öffnen, eines der Ventilatorblätter ab. Damit ist das wertvolle Bauteil endgültig Schrott. Nachdem der Vollpfosten es notdürftig wieder angeklebt hat, interessiert ihn der Fall nicht mehr.
1100 Euro für ein Elektromotörchen
BMW in Lima will auf Anfrage einen Preis von 1100 Euro für das Elektromotörchen sehen, das in Deutschland 180 Euro kostet. Wartezeit: minimum 6 Wochen. Doch Hilfe kommt von unserem Campingplatz-Wirt. Der kenne den Chef einer BMW-Werkstatt in Arequipa, der den Lüfter öffnen und komplett überholen könne. Als wir das Teil „repariert“ zurückbekommen, sind eineinhalb Wochen im Land. Als wir im Tal der Vulkane ankommen, fehlt das vermeintlich professionell reparierte Ventilatorblatt, der Lüfter rattert erbärmlich.
Zurück in „unserer“ Missionsstation
Mithilfe des scharfen, kalten Winds auf 4400 Metern schleppen wir uns über den Bergrücken, am Vulkan Coropuna vorbei, hinüber nach Cotahuasi zu unseren Freunden Brad und Gina. In deren Missionsstation haben wir 2020 schon einmal fünf Wochen festgesessen. Grund war damals allerdings kein technischer, sondern der Lockdown in der Coronapandemie. Die Wiedersehensfreude ist groß, schließlich sind wir mit den beiden US-Amerikanern damals zu so etwas wie einer Familie zusammengewachsen.
Als wir mit Hilfe von Freddy, dem Mechaniker der Station den angeblich reparierten Ventilator öffnen, bestätigt sich, was uns eigentlich schon klar war: Das Bauteil ist nie geöffnet worden, die Kohlen sind abgenutzt, die Schleifbahnen riefig, das komplette Innenleben zugedreckt. Die „Werkstatt“ hat uns also um knapp 200 Euro betrogen.
Wirkliche Hilfe kommt diesmal von einem wirklichen Freund. Anibal aus Chaclacayo bei Lima, selbst BMW-Fahrer, hatte unsere Kälber zwei Jahre beherbergt. Flugs telefoniert er seine kolumbianischen Freunde aus dem BMW-Forum ab und treibt einen passenden Lüfter aus indischer Produktion für erträgliches Geld auf, den wir für den Einsatz in der GS noch kräftig modifizieren müssen.
Einkaufen, Abwaschen, Kochen
Während das Paket unterwegs ist, schlüpfen wir wieder in unsere alte Rolle von damals in der Pandemie: Einkaufen, abwaschen, kochen etc. pp. Wir reißen den alten Lama-Stall ab und schichten tonnenweise Holz um. „Seid vorsichtig, da sitzen ab und zu Schwarze Witwen drin“, rät uns Brad. Die Aussicht auf Giftspinnen trägt wenig zu unserer Beruhigung bei.
Peruaner lieben Schwäbischen Kartoffelsalat
Wir nehmen also wie dazumal an den morgendlichen Gebetsrunden und am sonntäglichen Gottesdienst teil. Das eigentliche Highlight: Nach den Huldigungen gibt es Futter – jeder bringt etwas mit. Doch die Frommen stürzen sich auf Toms echt Schwäbischen Kartoffelsalat, als gäbe es kein Morgen mehr. In kürzester Zeit sind über drei Kilo im Schlund der Gläubigen verschwunden.
Heute jedoch gibt es nach dem Gottesdienst einen Höhepunkt, den wohl sonst kein Touri zu sehen bekommt: Eine Taufe. Und zwar nix mit Wasserbecken und Co – der komplette Tross an Gläubigen fährt hinaus zum Rio Cotahuasi.
In den eiskalten Tümpel getunkt
Nach einigen Psalmen, noch mehr Liedern und Sprüchen steigen die beiden Mittzwanziger Adam und Guadalupe im weißen Gewand in die eiskalten Fluten des Gebirgsflusses und werden von Brad und Freddy herzhaft untergetunkt.
Unter johlendem Applaus der trocken und warm am Ufer sitzenden Frommen entsteigen die frisch Getauften triefend, schlotternd und mit blauen Lippen dem türkisgrünen Strom. Ob man ihnen gesagt hat, was sie erwartet, haben wir nicht herausgefunden. Als das Schlottern nachlässt, machen die beiden dennoch einen zufriedenen Eindruck.
Köter Nummer drei überfahren
Der Ventilator ist eingetroffen und Tom macht sich mit Säge, Dremel, Feile und Lötkolben ans modifizieren und anpassen an die BMW. Anibal hatte nicht zu wenig versprochen. Funktioniert tadellos. Anderntags auf Testtour durch den Cotahuasi Canyon – der tiefste der Welt – überfährt Tom seinen dritten Köter. Wie schon hunderte seiner Artgenossen zuvor griff die Töle jäh vom Straßenrand aus an. Im Gegensatz zu den ersten beiden Opfern des Dakar-Vorderrads erwischte der dritte Fiffi Tom allerdings in einer Haarnadelkurve in Schräglage. Wie er diesmal einen kapitalen Crash vermeiden konnte, weiß Tom selbst nicht. Immer wieder werden Hunde zur ernsten Gefahr. Meist lassen sie sich durch einen beherzten Tritt in die Schnauze abwehren. In La Oroya hat einer der Pelz-Bastarde Tom ins Bein gebissen und seine Hose beschädigt.
Die Kondore nehmen Abschied
Das Kühlsystem der GS funktioniert wieder. Damit heißt es Abschied nehmen. Denn wir wollen – und müssen – weiter gen Norden. Von drei Monaten Reise haben wir alles zusammen gerechnet mittlerweile zwei durch technische Probleme bzw. Wartung oder Inbetriebnahme verloren – eine verheerende Bilanz. Also nehmen wir die staubige Piste nordwärts über den Altiplano in Angriff. Westlich von Pampamarca schrauben wir uns von 2300 auf 4400 Meter empor. Von der Kante werfen wir einen letzten Blick in unsere „zweite Heimat“. Und als wollten sie uns gebührend verabschieden, kreisen zwei Anden-Kondore majestätisch über unseren Köpfen. Ein imposantes Schauspiel zum Abschied von unserem so lieb gewonnen Tal.
Über 230 Kilometer zieht sich die Offroad-Piste. Die letzten 50 davon mit fiesen Schlaglochkratern übersät. Noch einmal 140 Kilometer Asphalt auf einem der Panamericana-Zweige und wir erreichen komplett zugedreckt und körperlich halbtot Puquio.
Die nächste Panne
Am nächsten Tag starten wir weiter gen Norden. Doch nach nur 10 Kilometern geht Andreas GS während der Fahrt einfach aus. Die nächste Panne, die uns heimsucht. Der Seitenständerschalter hat auf der Rüttelpiste seinen Sicherungsring von sich geworfen, sich vom Ständer getrennt und schließlich den Zündstrom gekappt.
Von den vorbeifahrenden Einheimischen gibt es statt Hilfe nur hämisches Gehupe und dummes Gebrüll. Doch diesmal können wir uns selber helfen und in einer guten Stunde am Straßenrand sind wir wieder einsatzbereit. Die Belohnung: Wir fahren auf einer schmalen Straße von Canyon zu Canyon und von Kurve zu Kurve zu Kurve. Die Reifenmitte hätten wir zuhause lassen können.
Alle blau und blondäugig?
„Ihr kommt aus Deutschland? Dann müsst ihr unbedingt nach Oxapampa. Das ist eine deutsche Siedlung. Da sind alle blond und blauäugig. Und die Kühe alle schwarz-weiß“, erzählt uns die Frau im Laden, in dem wir ein paar nicht mehr ganz so blonde Bananen erstehen. Klingt albern, macht uns aber trotzdem gehörig neugierig. Wir ändern also unseren Plan, über Huanuco nach Huaraz zu fahren und machen den Schlenker nordostwärts gen Oxapampa. Auf dem Bergzug jenseits von Jauja auf 4400 Metern braut sich Regen zusammen. Bräuchten wir nicht, uns ist auch so schon gehörig kalt. Doch schon bald fällt die Straße steil ab, die Vegetation gewinnt wieder an Form und Farbe und das Thermometer klettert zusehends. Und immer öfter sehen wir Satteldächer mit richtigen Dachziegeln, und spätestens als wir das erste Schwarzwaldhaus passieren, wissen wir, dass die „deutsche Siedlung“ nicht mehr weit sein kann.
In Oxapampa sehen wir niemanden, der blonde Mähne trägt. Und Holsteiner Kühe halten sich ebenfalls sehr in Grenzen. Dennoch sind deutsche Namen allgegenwärtig. Neben uns hält Hans mit seiner BMW G 310 GS an. Der Einheimische hat keine blauen Augen und auch praktisch keine Haare. Dennoch hat er deutsche Wurzeln, und sein Vater lebt sogar in Köln. Naja, einem Peruaner sei letzteres verziehen! Hans geleitet uns zu einem Campingplatz, der gesäumt ist von höchst kitschigen Holzhäusern im Alpenstil, aus denen bis zum Anschlag die typisch peruanisch Mucke dudelt. Dazwischen höchst beschäftigte Einheimische mit Trikots des FC Bayern München. Allerdings auch nicht blond. Ihre Verwandten leben in „Munitsch“, erzählt uns die Wirtin stolz und lässt uns einen großen Tisch bringen.
Des Kaffeerösters alte Liebe
Wir verabreden uns mit Hans und seiner Frau Jeanette zum Abendessen. Der Peruaner fährt stolz wie Bolle mit seinem zweiten Motorrad, einer blitzblank gewienerten Royal Enfield Himalayan vor, die neben unseren beiden fahrenden Schlammbatzen fast ein wenig überkandidelt wirkt. Bei einem Spaziergang durch die äußerst saubere und aufgeräumte Gemeinde erzählen uns die beiden von den besten Restaurants und Ausflügen sowie von Pozuzo, einer deutsch-österreichischen Siedlung 80 Kilometer weiter nördlich. Und von ihrem Freund Pepe, dem Kaffeeröster, der als Hobby alte Motorräder restauriert. Flugs lädt er uns für den nächsten Morgen zu einer Besichtigung dessen Werkstatt ein – alles im typisch britischen Stil der Sechziger gehalten. Mehrere Modelle von BSA und Triumph erstrahlen im top restaurierten Zustand, daneben eine BMW R26. Die Moto Guzzi LeMans wirkt dagegen fast wie ein Exot.
Pepes ganzer Stolz ist seine edle Triumph Thunderbird aus den Sechzigern, die er für uns sogar mal startet. Unweigerlich fühlen wir uns ins Londoner Ace Cafe versetzt. Münze in die Jukebox und ab geht’s im Tiefflug über die Cafe Racer Runde!
Vögel mit Horn
Für uns geht es am nächsten Morgen ganz schnöde mit Handymucke auf dem Headset weiter hinunter in den Regenwald. Wir machen für zwei Nächte Station im Parque Nacional Yanachaga Chemillen, einem Dorado für Wildlife Watching. Neben Schmetterlingen in allen Größen und Farben beobachten wir den peruanischen Wappenvogel Gallina de las Rocas (Felsenhahn) mit seinem charakteristischen Horn auf dem Schnabel und seinem markanten Rufen.
Bei Nacht präsentieren sich unzählige Spinnenarten, und zum Abschied erhaschen wir sogar noch einen Blick auf eine Affenfamilie, die durch die Wipfel turnt. Ameisenbär, Tapir und Jaguar bleiben uns jedoch verwehrt.
Bier, Kässpatzn und Kartoffelsalat
Für die 40 Kilometer hinunter nach Pozuzo lohnt es sich kaum, den Motor zu starten. Das deutsch-österreichische Städtchen präsentiert sich aufgeräumt, gepflegt, ohne Müll in den Straßen und auch praktisch ohne streunende Hunde und deren Hinterlassenschaften. Ein Ort, in dem man sich automatisch heimisch fühlt. Im Restaurant „Tiroler Adler“ gibt es Wiener Schnitzel, Kartoffelsalat und Käsespätzle in hervorragender Qualität.
Wir machen uns auf die Suche nach der Schaus-Brauerei und stoßen am Dorfrand auf einen unscheinbaren, rundum offenen Wellblechbau mit jeder Menge Braukessel. Sonst nichts. Dennoch empfängt uns der sympathische Boss, der sein Handwerk und den USA und in Berlin erlernt hat, und drückt uns ein frisch vom Kessel gezapftes Pils und ein Wiener Lager in die Hand. Gleich drei deutsche Brauereien gibt es im Ort, allesamt mit Bieren hervorragender Qualität. Es waren vor allem Tiroler und Rheinländer, die ab 1859 von der peruanischen Regierung angeworben wurden, das Tal urbar zu machen und eine Siedlung aufzubauen. Zwei Jahre waren die neuen Siedler unterwegs – um festzustellen, dass sie sich die letzten 90 Kilometer Weg von den Bergen in den Urwald hinab auch noch selbst bauen müssen. Viele von denen, die die Reise von Europa ums Kap Hoorn herum nicht dahingerafft hat, sprangen jetzt ab und siedelten sich in Lima an. Doch die paar Hundert Hartgesottenen brachten deutsch-österreichische Kultur, Handwerk und Technologie in den Regenwald. Und daran hält Pozuzo heute noch eisern fest.
Wir werden tieftraurig
Wir freuen uns auf die 130 Kilometer Offroad-Etappe hinunter in den Selva Baja, die Regenwald-Tiefebene. Nach 40 Kilometern Schlammpiste öffnet sich die Vegetation, der Weg wird zu einer tiefen, völlig überschotterten Piste. Vorbei an endlosen Weideflächen, von Regenwald keine Spur mehr. Was dereinst eine artenreiche Dschungel-Landschaft war, ist längst der Rodung anheim gefallen. Statt stolzer Zedern, quirliger Affen, Schlangen, Kaimanen und Tapiren nur noch Ödnis und allenthalben doof drein glotzende Rindviecher. Tiefe Traurigkeit befällt uns bei diesem Anblick – geschuldet unter anderem dem ungebremsten Fleischhunger der Menschen.
Noch mehr Probleme
Auf den letzten 20 Kilometern der Schotterpiste überhitzt die GS schon wieder. Uns liegen langsam die Nerven blank. Dennoch gelingt die Weiterfahrt nach Huanuco bei hohem Tempo und ordentlich Fahrtwind im Kühler. Die Werkstatt von Toby und seinen Mannen von Around the Block Moto Adventures findet den Fehler schnell. 0,6 Liter Kühlflüssigkeit fehlen – etwas die Hälfte der Gesamtmenge. Wo die hin verschwunden sein können, weiß niemand. Noch in Cotahuasi haben wir den Stand gecheckt.
Die Kälber sind also wieder fit, wir fahren weiter gen Huaraz – über Ruta 111, da sich die Hauptstrecke in Bau befindet. Eine wirklich üble Holperstrecke, die Mensch und Material höllisch malträtiert. Dabei reißt an der Dakar der Kettenschutz seine Aufnahme von der Schwinge. Doch noch schlimmer: Diesmal läuft die Dakar heiß, die Warnlampe schlägt Alarm. Wer glaubt, wir wären es nun langsam gewöhnt, der irrt. Und zu allem Überfluss kommt eine Quechua-Familie mit dem Nachwuchs im Schlepptau an, als wir die Dakar zerlegen. Nicht etwa, um uns zu helfen. „Wir wollen unserer Tochter einmal die weiße Haut einer Gringa zeigen“, sagt die Mutter und gibt offen zu, ihrer Tochter einen menschlichen „Zoo“ vorführen zu wollen. Toms Hautfarbe wechselt von weiß nach puderrot, er muss sich einmal mehr im Zaum halten, um nicht auszurasten. Immer mehr nervt uns der Alltags-Rassismus, dem wir hier ausgesetzt sind. Doch so etwas ist uns bis dato noch nicht widerfahren.
Wir schaffen den Rückmarsch nach Huanuco zu Toby und seinem genialen Mechaniker Jaime. Ergebnis: Es fehlen 0,5 Liter Kühlmittel. Verbleib abermals unbekannt. Ein Rätsel. Jedenfalls sind wir wieder startklar. Es ist Sonntag und so nehmen wir die Hauptroute unter die Räder – noch nicht ahnend, dass wir die nächste Nacht auf einer Polizeistation verbringen werden…
Kilometer: 5042 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
FOTOS:
Bildwechsel im Slider unten: Ziehen mit der Maus bzw. Wischen.