Nach viereinhalb Monaten verlassen wir Peru. Ecuador bedeutet für uns das Abhaken aller Pannen und Miseren, die uns jüngst auf Schritt und Tritt begleitet haben. Und neue Eindrücke von einem Land, das sich von seinem südlichen Nachbarn so sehr unterscheidet.

Ein mondänes, fast sogar modernes Büro mit freundlichen Beamten verabschiedet uns auf der peruanischen Seite. Am anderen Ufer des Grenzflusses indes liegt ein etwas heruntergekommenes Dorf. In der ecuadorianischen Einwanderungsbehörde können Müde es sich in aufgeplatzten, rissigen Ledersesseln bequem machen. Die Formalitäten sind schnell erledigt. Die Sonne scheint, und bald würden wir durch die einsame Bergwelt fahren. So denken wir. Doch es kommt anders. In dem kleinen Zollbüro erwartet uns ein blutjunger, etwas hilfloser Beamter, der uns vermittelt, dass sein Computersystem nicht funktioniert. Er erfasst, außer unserer Unterhosengröße, alle persönlichen Informationen, die sich potentiell irgendwie abfragen lassen.

Zoll bedeutet in Ecuador: Warten.

Alles außer Unterhose

Per WhatsApp vermittelt er unsere Daten an einen anderen Grenzübergang. Datenschutz? Wurschtegal! Wir vertreiben uns die Zeit mit einem Schwätzchen mit seinem gut aufgelegten Boss, der es sich mit Sonnenbrille in der Sonne gemütlich gemacht hat. Immer wieder pendeln wir zum Fluss, um mit unserer peruanischen SIM-Karte Mails abzurufen. Nach drei Stunden trifft die Email mit den Zollpapieren der BMWs ein. Der Jungspund macht uns klar, dass wir nun wieder nach Peru hinüber müssen, weil es hier keinen funktionierenden Drucker gibt. Der peruanische Zoll allerdings weigert sich zunächst, uns zwei Blatt Papier zu drucken. Erst auf Druck der ecuadorianischen Zollbeamten hilft man uns.

Der Sonnenschein ist mittlerweile einem alles durchdringenden Nieselregen gewichen, als wir endlich ecuadorianischen Schotter unter die Räder nehmen dürfen. Die Lehmpiste wird angesichts des Niederschlags immer glitschiger. Wir schrauben uns auf über 3000 Meter und tauchen in die Wolkendecke ein. Nach etwa 50 Kilometern löst eine riesig ausgebaute Asphaltbahn den schmierigen Pfad ab. Immer wieder fahren wir durch die Wolken. Sicht gleich Null. Es dämmert bereits, als wir nach einem anstrengenden Ritt in dem kleinen, beschaulichen Hippie-Dörfchen Vilcabamba einfahren.

Es riecht süßlich

Süßlicher Dunst dringt von den fleißig rauchenden Zeitgenossen mit filzigen Dreadlock-Rastas auf der Plaza unter unsere Helme. Wenig später erreichen wir das Rumi Wilco Eco Reserve. Orlando und seine Frau Alicia, beide Argentinier, haben sich hier niedergelassen und bei der Regierung einen Schutzstatus für den eminent artenreichen Sekundärwald erwirkt.

Alicia schafft Wissen: Die Botanikerin hat schon die dritte neue Pflanze entdeckt.

Alicia, ihres Zeichens Botanikerin, erforscht und erfasst, systematisiert und ordnet alles, was dort wächst. Und jüngst hat die Sechzigjährige bereits ihre dritte der Wissenschaft noch unbekannte Pflanze aufgespürt. Momentan laufen Analysen und DNA-Proben auf Hochtouren. Und künftig wird die Pflanze aus der Kaffee-Familie wohl den Namen Rumi Wilco tragen.

Wir satteln um auf Schubkarre

Wir verladen unseren Krempel auf zwei Schubkarren und lassen uns auf dem Campingplatz mitten im Reserve nieder. Angesichts der Ruhe und der komfortablen Ausstattung beschließen wir, hier ein paar Tage auszuspannen, Blog zu schreiben, das Kiffer-Städtchen zu erkunden, Vögel zu beobachten, Pflanzen und Tiere zu entdecken – oder einfach mal nix zu tun und den Glühwürmchen bei ihrem blinkenden Spiel zusehen.

Blog-Zeit: Rumi Wilco strahlt eine Menge Ruhe aus.

Nach sechs Tagen stellen wir fest, dass die GS hinten schon wieder einen Plattfuß aufweist. Also flicken wir den Reifen, verladen unser Campingequipment einmal mehr auf die Schubkarren und hängen angesichts der fortgeschrittenen Uhrzeit noch einen Tag dran.

Ein Paradies für uns allein.

Die Pannenserie geht weiter

Auf dem Weg nach Norden platzt unsere Vision, dass wir mit der Grenze nun auch alle technischen Probleme hinter uns gelassen hätten. Schon wieder tut die Dakar per Warnlampe kund, dass ihr Kühlsystem seine Arbeit vernachlässigt. Im nahen Cuenca stellen wir fest, dass dem System nach nur 2000 Kilometern schon wieder 0,6 Liter Kühlflüssigkeit fehlen – mehr als die Hälfte der Gesamtmenge. Wie zuvor bleibt ihr Verbleib ein Rätsel. Auch die Werkstatt, die an der weißen Münchenerin das malade Lenkkopflager wechselt, findet keine Ursache.

Die Dakar braucht gefühlt mehr Kühlmittel als Sprit.

Wir erkunden die schmucke Stadt, deren Kern zum UNESCO Welterbe zählt. Der markanten Kathedrale fehlen die beiden Turmaufbauten. Wegen „struktureller Probleme“ haben die Erbauer es nach fast 100 Jahren Bauzeit mit den beiden Turmstümpfen bewenden lassen. Ein „Museum“ der etwas anderen Art zieht uns in seinen Bann. Das „Prohibido Centro Cultural“ stellt bereits seit 26 Jahren die teils recht morbiden Werke des Künstlers Eduardo Moscoso aus. Darunter ein Schafott, ein Folterkeller mit elektrischem Stuhl und jede Menge blutrünstige Monsterchen und diabolische Kreaturen. Und selbst die Bar des netten kleinen Cafes ist im Horror-Stil gestaltet.

Horrorfilm in Live: Das Prohibido Centro Cultural in Cuenca.

Die längste Abfahrt unseres Lebens

Die Dakar ist wieder fit, wir verlassen das sympathische Städtchen und halten uns gen Westen. Unser Ziel ist die Pazifikküste. Zunächst schrauben wir uns in endlosen Serpentinen hinauf auf über 4000 Meter in den Cajas Nationalpark, der uns sicher mit faszinierenden Ausblicken belohnen würde, wenn wir nicht abermals mit dem Kopf mitten in den Wolken fahren würden. Auf der anderen Seite der Kordillere erwartet uns die längste Abfahrt, die wir je unter den Rädern hatten. Fast 100 Kilometer teils steiles Gefälle tragen uns hinunter auf Meeresniveau. Oben hat uns der Nieselregen eingenässt, unten triefen wir nun vor Schweiß, als wir den nervigen Millionen-Moloch Guayaquil durchqueren.

Mit Blattfeder und Bügeleisen

Wahrscheinlich lief einfach alles zu glatt. Kurz vor unserem Ziel Machalilla entledigt sich der Hinterreifen der GS abermals all seiner Luft. Wieder ist es ein Nagel, mit dem der Pneu das zweifelhafte Vergnügen hatte. Der dritte Durchstich innerhalb von weniger als 1000 Kilometern.

Ein betagter Exil-Chinese trennt im nahen „Reifenservice“ die innige Verbindung von Rad und Reifen mittels zweier zu Montiereisen umgearbeiteten Lkw-Blattfedern. Den Schlauch vulkanisiert er mit einer Art Bügeleisen. Rustikal, aber es funktioniert tadellos, und so fahren wir schon bald an unserem Campingplatz in Machalilla ein – direkt am Meer und in unmittelbarer Nachbarschaft des gleichnamigen Nationalparks gelegen.

Immer am Pazifik entlang.

Wir wollen einem unbeschreiblichen Naturschauspiel beiwohnen: Just zu dieser Zeit tummeln sich vor der ecuadorianischen Küste nämlich mehrere hundert Buckelwale. Die Meeressäuger kommen über 7500 Kilometer aus der Antarktis hierher geschwommen, um in den warmen Gewässern den Nachwuchs zur Welt zu bringen und sich erneut zu paaren. Mit an Bord unseres Bootstrips ist neben 12 weiteren Gästen auch ein Nationalpark-Ranger, der die Gruppe zunächst über die weit draußen vorgelagerte Isla de la Plata führt. Die Insel wird von abertausenden Blaufuß-Tölpeln bewohnt.

Je blauer der Fuß, desto attraktiver der Freier.

Die liebenswerten und etwas tapsigen Flattermänner ergreifen indes nicht die Flucht, wenn man sich ihnen nähert. Denn so etwas wie natürliche Fressfeinde gibt es hier nicht für die etwa hühnergroßen Vögel. Aus stets mindestens 3 Metern Abstand beobachten wir die Tölpel beim Werben der Männchen um das weibliche Geschlecht. Neben ausgefeilter Performance kommt es dabei auch auf eine möglichst intensive Blaufärbung der Schwimmfüße an, erläutert Wildhüter Manuel.

Willkommen, kleiner Blaufuß! Das Küken ist drei Wochen alt.

Die in den Büschen sitzenden, deutlich größeren Fregattvögel indes umwerben ihre Weibchen mit einem möglichst groß aufgeblasenen knallroten Kehlsack. Die schwarzen Tiere haben sich darauf spezialisiert, den drei hier lebenden Tölpel-Arten im Flug ihre Beute abzujagen.

Fregattvögel

Eine Once-in-a-Lifetime-Experience

Zurück auf dem Boot haben wir die Möglichkeit, die Maske überzustreifen und mit knallbunten Fischen zu schnorcheln, darunter die lustigen gelben Drückerfische. Manuel achtet darauf, dass jeder mindestens zehn Meter Abstand zu dem großen Korallenriff hält.

In Venedig ist Maskenball: Ab zum Schnorcheln am Korallenriff!

Auf der Rückfahrt gen Puerto Lopez ist es schließlich so weit: Wir treffen auf eine Herde der majestätischen Buckelwale. Wie um uns zu begrüßen, springen sie weit aus dem Wasser, um unter Getöse aufzuschlagen, schlagen mit den Flossen aufs Wasser oder präsentieren uns ihre Schwanzfluke. Immer wieder springen die sanften Meeressäuger rund um unser Boot. Sogar einen neugeborenen Babywal bekommen wir zu sehen. „Die Bullen springen, um die Weibchen auf sich aufmerksam zu machen und ihre Konkurrenten auszustechen“, erklärt uns Manuel. Die ästhetischen Riesen verschlagen uns die Sprache. Eindrücke, die wir ein Leben lang nicht vergessen werden!

Sanfte Riesen: Die Buckelwale vor Ecuadors Küste.

Am nächsten Tag führt uns eine Wanderung durch die von Felsformationen voneinander abgetrennten Sandstrände von Los Frailes und das ebenfalls im Nationalpark liegende Agua Blanca samt seinem schwefelhaltigen Heilbad.

Einsame Strände: Los Frailes.

Süßes Leben

Weiter nördlich lassen wir uns an einem Campingplatz mit tropischem Garten nieder und genießen für zwei Tage das Strandleben mit Cocktails und springen immer wieder in den äußerst warmen Pazifik. Pura vida!

Lecker Cocktail: So lässt es sich aushalten.

Doch es zieht uns weiter gen Nordosten, denn in Mindo im feuchten Nebelwald wartet eine große Zahl an Schmetterlingen und gefühlt noch mehr Kolibris, die bereitwillig vor unserer Linse posieren.

Flattermann in Bunt: Kolibri.

Und als große Liebhaber von Schokolade und Leiter von Seminaren zum Thema Whisky und Schokolade lassen wir uns eine Führung durch die hiesige Schokoladenmanufaktur nicht entgehen. Bei Yumbos Chocolate werden die Kakaobohnen von der Küste bereits fermentiert und getrocknet angeliefert. Und in unzähligen Arbeitsschritten in zehn verschiedenen Sorten leckerer dunkler Schokolade, teils mit Zitronengras, Meersalz oder Chili verfeinert. Die Verkostung kommt locker einer Hauptmahlzeit gleich, gemessen an den Kalorien wahrscheinlich noch weit darüber.

Höhepunkt Verkostung.

Wir verlassen das kleine, beschauliche Paradies und wenden uns gen Norden. Die Panamericana trägt uns an Quito vorbei gen Ibarra, wo wir unsere Freunde Barbara und Robert treffen wollen. Stilvoll an einem deutschen Overlandertreff mit echtem Biergarten und fast 30 verschiedenen Biersorten.

Wir ahnen noch nicht, dass wir von hier einen äußerst ungewöhnlichen Trip starten werden, der uns ein Leben lang im Gedächtnis bleiben soll…

Kilometer: 8951 (+23989)

Unsere Route findet ihr wie immer hier.

Fotos:

Bildwechsel im Slider unten: Ziehen mit der Maus bzw. Wischen.

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