Nicht lange nachdem wir die Wüsten hinter uns gelassen haben, stehen wir im Regenwald. Mit spektakulären Landschaften verabschieden uns die USA gen Kanada. Dort treffen wir auf Natur, die uns zutiefst beeindruckt.
Als wir am Wochenendhäuschen von Liz und Fraser in Sequim/Washington vorfahren, kommen wir aus dem Staunen nicht mehr heraus. Liz, die ehemalige Arbeitskollegin von Pete, unserem Kaffee röstenden Freund aus Astoria in Oregon, hat uns an die Nordküste Washingtons, nahe Seattle und der Mündung des Columbia River eingeladen. Im vergangenen Jahr hat Liz mit ihrer Triumph Tiger den Trip nach Alaska absolviert.
Im Paradies
Das große, gepflegte Anwesen mit einem kleinen japanischen Gärtchen ist eingerahmt von hohen Bäumen. Nachbarn sind nicht zu sehen, und ein paar Bäume weiter nistet ein Weißkopfseeadler-Pärchen. Liz und Fraser müssen anderntags bereits wieder zurück nach Seattle. „Bleibt, so lange ihr wollt“, drücken sie uns den Schlüssel für das Traumhaus in die Hand.
Wir sind geflasht von so viel Gastfreundschaft. Den sonnigen Tag nutzen wir für eine Wanderung im nahen Olympic Nationalpark und erklimmen die vom letzten matschigem Schnee gesäumte Hurricane Ridge, ein Bergrücken, von dem wir die umliegenden Höhenzüge und die Columbia-Mündung sehen.
Es zieht uns in den Westen des UNESCO Weltnaturerbes – an die wilden Pazifikstrände mit den gigantischen Treibholzstämmen, die felsige Küste, den westlichsten Punkt der USA außerhalb Hawaii und Alaska, und vor allem den Hoh-Regenwald, einen von wenigen verbliebenen gemäßigten Regenwäldern.
Im Märchenwald
Die Niederschlagsmengen sind enorm, entsprechend üppig die Vegetation. Die Wanderung durch den mit Flechten und Moosen überzogenen Wald wirkt märchenhaft, gar surreal. In den meisten der Flüsse und Bäche kommt im August und September eine große Zahl an Lachsen heraufgewandert, um zu laichen. Für dieses Schauspiel sind wir leider zu früh vor Ort.
Es ist eine der regenreichsten Regionen Nordamerikas, entsprechend ungemütlich kann das Campen ausfallen. Einerlei, zurück in Sequim residieren wir wie die Könige. Wir waschen unsere schmutzige Motorradkluft und die speckigen Schlafsäcke, säubern und imprägnieren das noch mehr verdreckte Zelt und nehmen die eine oder andere Reparatur vor. Es ist Freitag, Liz und Fraser kehren zurück. Wir kredenzen ihnen zum Abschied unseren Schwäbischen Kartoffelsalat und zünftige deutsche Bratwurst.
Im größten Land der Reise
Angesichts der horrenden Übernachtungspreise verzichten wir auf Seattle. Kanada ruft – Land Nummer 16 unserer Reise – und zugleich das erste, in das wir per Schiff gelangen. Vom nahen Port Angeles setzen wir über die Juan-de-Fuca-Straße auf die nördlich vorgelagerte Vancouver Island. Ähnlich wie die ganze Provinz British Columbia ist die Insel von dichten Wäldern, Seen und rauer Pazifikküste geprägt.
Wolf, Hirsch und Elch sind hier zuhause. Und Bären. Deshalb parken wir die BMWs samt unserem gesamten Futter und allem, was riecht immer 50 bis 100 Meter abseits unseres Zeltes, damit sich Meister Petz nicht nächtens in unsere Mitte legt.
Wo Blech vom Himmel fällt
Eine beschwerliche Wanderung durch ein Moor nehmen wir auf uns, um ein besonderes Fundstück zu bewundern. Im Wald bei Tofino liegt das Wrack eines 1945 abgestürzten Flugzeugs. Kurz nach dem Start ging es im Dickicht nieder. Wie durch ein Wunder kamen alle 12 Insassen mit dem Leben davon.
Mit der Insel haben wir einen schönen Vorgeschmack auf den Westen des Landes bekommen, also setzen wir über aufs Festland und halten uns nordwärts. Das mondäne Whistler erweist sich als das Sankt Moritz von Britisch Kolumbien, mit Tourinepp und allerlei Tamtam. Bei Olympia im nahen Vancouver wurden hier die Skiwettbewerbe ausgetragen. Wir verfallen in Schockstarre über die Lebensmittelpreise, kaufen ein paar wenige „erschwingliche“ Dinge und ein paar Bier und suchen uns einen Wild-Camping-Spot nördlich der Stadt. Wie fast jeden Abend rösten wir einsam und friedlich am Lagerfeuer Marshmallows. In der Nacht setzt strömender Regen ein, der auch nicht mehr innehält, und so bauen wir einmal mehr im Regen unser Camp ab.
Unterm Wolkendeckel
Wir halten uns weiter gen Nordosten, schließlich haben wir eine Einladung von Fred und Rosella in Clearwater, den deutschstämmigen Paraguayos aus der WhatsApp-Gruppe für Motorradreisende. Wir fahren durch eine mitreißende Landschaft, die angesichts des strömenden Regens ihre Pracht allerdings ein wenig unter dem Wolkendeckel hält.
Allenthalben passieren wir hohe Berge, tiefblaue Seen und dichte Wälder. Und überqueren hohe Pässe, mit Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt. Wir können kaum so schnell zittern, wie wir frieren. Schließlich spuckt uns der eisige Ritt in Clearwater aus, einem kleinen Dörfchen entlang des Highway 5, der das Tor zum Wells Gray Park und seinen Wasserfällen bildet.
Zwischen Mate und Motoröl
Fred und Rosella sind in Paraguay in einer deutschen Kolonie als Mennoniten aufgewachsen. Schließlich sind die beiden 1990 nach Kanada ausgewandert. Nach einigen Jahren wollten sie weg aus dem Großraum Vancouver und haben sich in Clearwater 5 Hektar Land gekauft, auf dem Fred eine Motorradwerkstatt betreibt.
Rosella fährt 3 Tage pro Woche für das hiesige Busunternehmen. Die beiden Mittsechziger haben mehrere ausgediente Wohnwagen und Camper auf Vordermann gebracht, um darin Biker zu beherbergen. Das Wetter wird immer noch schlechter, und so vergehen einige Tage, in denen wir Blogs schreiben, an der Dakar die seit mehreren tausend Kilometern rutschende Kupplung ersetzen und einige weitere Reparaturen vollziehen.
Rosella zeigt uns die Gegend, Fred hilft bei den Reparaturen. Und versorgt uns immer wieder mit Mate, jenem Tee, der hauptsächlich aus Argentinien bekannt ist, aber auch in Paraguay zu den täglichen Sozialritualen gehört. Nach einer guten Woche lässt der Regen schließlich nach, gutes Wetter ist angesagt. Mit Gebeten segnen Fred und Rosella, beide Mitglieder der Christian Motorcycle Association (CMA) uns und unsere BMWs, um uns vor Pannen und Unfällen zu schützen. Nach dem Procedere dürfen beide Maschinen den Aufkleber „Blessed 2024“ (gesegnet 2024) tragen.
Ab in die Rocky Mountains
Wir wollen unbedingt die beiden Nationalparks ein gutes Stück nordöstlich besuchen. Begeisternde Bilder haben wir gesehen von Banff und Jasper in der Provinz Alberta. Nach gut 600 Kilometern auf dem Trans-Canada-Highway landen wir schließlich in den Rocky Mountains in Lake Louise, dem mondänen Touriort, dessen Bilder von seinem Edelhotel vor dem See-und-Bergpanorama um die Welt gegangen sind.
„Edel“ sind hier auch die Preise. 37 Dollar sollen wir pro Motorrad fürs Parken bezahlen. No way. Wir kommen um 19 Uhr wieder. Dann kostet es nix und die gackernden und sich in schmierigen, lächerlichen Posen selbst fotografierenden Touristen sind verschwunden. Anderntags wenden wir uns auf dem alten Parkway gen Banff Town.
Die Sonne taucht die schneebedeckten Berge ringsum in gleißendes Licht, allenthalben kreuzen die omnipräsenten Wapiti-Hirsche unseren Weg, wir sind in dem Kanada, das man von Bildern kennt. Wir könnten alle paar hundert Meter anhalten und fotografieren. Die Szenerie ist erfüllt von Wasser und Bergen.
Zwangsläufig übernachten wir auf einem der überfüllten und überteuerten Campingplätze in Banff. Tags darauf starten wir gen Norden ins Hochgebirge auf den Icefields Parkway. Wir passieren wahre Naturwunder wie den von Gletschern gespeisten Bow Lake. Die gewaltige Natur raubt uns den Atem.
Die Eindrücke gehören zu den intensivsten der ganzen Reise. Schließlich gelangen wir zum Columbia Icefield, einer 325 Quadratkilomter großen und zwischen 100 und 365 Metern dicken Eiskappe in den Bergen, aus der gleich 5 Gletscher hervor ragen.
Erschütternde Erkenntnisse
Wir klettern auf die Endmoräne des vordersten und erschrecken angesichts des Maßes, in dem sich der Gletscher durch die Klimaerwärmung bereits verringert hat. Schilder markieren die Ausdehnung der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. „Er wird jedes Jahr zehn Meter kürzer und 5 Meter dünner“, so die erschütternde Aussage des Rangers, mit dem wir über das Thema sprechen. Ende des Jahrhunderts werde alles verschwunden sein – mit schwerwiegenden Folgen für das Ökosystem. Die meisten Besucher nehmen es achselzuckend zur Kenntnis und brausen dann wieder in ihren V8-Benzinschleudern von dannen.
Elche und Bären
Beim Picknick entdecken wir eine Elchkuh, die ruhig und gelassen durch die eiskalten Fluten des Athabasca-River watet. Auf dem alten Parkway südlich von Jasper im angrenzenden gleichnamigen Nationalpark stoßen wir schließlich auf unsere ersten Bären. Zwei Schwarzbären trotten über die Straße, bevor sie wieder im Dickicht verschwinden.
Anderntags treffen wir gleich zwei mal denselben Braunbären. Der drollige Pelzträger labt sich genüsslich im Graben neben der Straße an einem überfahrenen Wapiti. Mit laufendem Motor für den Fall eines plötzlichen Angriffs beobachten wir das äußerst gelassen wirkende Tier.
Immer wieder machen wir uns auf Schusters Rappen durchs Hinterland, um Wälder, Flüsse, Schluchten und Wasserfälle zu erkunden. Die beiden zum Welterbe zählenden Nationalparks hinterlassen tiefe Eindrücke bei uns.
Zurück nach Clearwater
Schon auf dem Weg nach Banff hatte sich der linke Gabelsimmerring der GS verabschiedet. Große Mengen an Gabelöl laufen direkt in die Bremse. Das kann zum Komplettausfall des Stoppers führen, und so machen wir einen Umweg gen Clearwater, um in Freds Werkstatt die Dichtringe zu wechseln.
Mittlerweile hat der Regen wieder die Oberhand gewonnen. Und wir freuen uns bereits auf den Trailer und einen Schluck heißen Mate-Tee.
Kilometer: 61482 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
Fotos:
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