In dem Glauben, nun endlich alle Probleme an den BMWs behoben zu haben, sind wir unterwegs Richtung Huascaran Nationalpark. Doch unterwegs geraten wir in eine Polizeikontrolle und verbringen die Nacht auf der Wache.
Nachdem nun auch die Dakar in Huanuco fit gemacht wurde, nehmen wir die Ruta 3 gen Nordwesten unter die Räder. Es ist Sonntag, und so gibt es keine Sperrungen auf der im Ausbau befindlichen Nationalstraße. Was wir nicht ahnen, ist, dass sich die Baustelle über geschlagene 170 Kilometer zieht, auf denen wir uns den ganzen Tag durch Tiefsand, Kies und Schlamm quälen. Kurz vor Huallanca ziehen sich dicke Regenwolken zusammen. Wir hoffen, unser Tagesziel, einen Campingplatz, noch trocken zu erreichen. Zu allem Überfluss geraten wir nun auch noch in eine Polizeikontrolle. Normalerweise werden wir als Biker durchgewunken, diesmal müssen wir jedoch anhalten.
Die bislang längste Polizeikontrolle
Der Beamte bekommt leuchtende Augen beim Anblick unserer – nach der fiesen Piste von oben bis unten zugedreckten – Moppeds. Statt nach unseren Papieren zu fragen, interessiert sich der Polizeibeamte vielmehr für die BMWs und unsere Reise. „Mach einfach dein Selfie und lass uns weiterfahren“, denken wir. Doch er zeigt uns auf seinem Handy ein Bild nach dem anderen. Von seinen fünf Motorrädern, darunter eine BMW R 1200 GS, eine Kawasaki KLR 650 D und eine Royal Enfield Himalayan. Und Videos von seiner Familie, seinen Freunden und der schönen Gegend. Es ist mittlerweile dunkel. „Im Zelt könnt ihr nicht übernachten, es wird viel zu kalt.
Die Nacht auf der Polizeiwache
Ihr kommt mit zur Polizeistation und schlaft in meinem Zimmer“, beschließt der sympathische Beamte, springt in sein Polizeiauto und bedeutet uns, ihm zu folgen. Da es langsam ungemütlich wird und eine Nacht auf der Wache ohnehin Spannung verspricht, nehmen wir das Angebot gerne an. Während sein Team sich einen Raum mit Stockbetten teilt, räumt Polizeichef Jael sein eigenes Zimmer für uns, damit wir es uns in seinem Bett gemütlich machen können.
Die Station liegt auf gut 4000 Metern oberhalb einer riesigen Kupfermine und besteht aus zwei Zimmern sowie einer siffigen Toilette. Als wir seinen von der Ordnung her an einen Handgranaten-Wurfstand erinnernden Raum betreten, räumt Jael fix das nötigste zur Seite. An der Decke löst sich die Farbe, die Bodenfliesen haben auf den Laufwegen schon lange das Weite gesucht. „Das Gebäude gehört den Minenbetreibern, und die scheren sich einen Dreck um den Zustand“, wettert der Mittvierziger über die Bruchbude, auf der sein Team Dienst schieben muss.
Immerhin bezahlt die Mine das Trinkwasser, das in 20-Liter-Ballons angekarrt wird. Denn die gesamte Gegend inklusive der Gewässer ist durch den Erzabbau hochgradig quecksilberverseucht. Auflagen? Fehlanzeige. Das korrupte System machts möglich. Dagegen sind auch Jael und seine Mannen machtlos, wie er selbst frustriert zugeben muss. Auf dem klebrigen Gasherd brutzeln wir uns Nudeln, während draußen bereits Frost herrscht, und genehmigen uns mit unseren Gastgebern, die nicht im Dienst sind, ein paar Bier.
Uns bleibt die Luft weg
Am nächsten Morgen, nach gefühlt hunderten von Fotos und einem herzlichen Abschied von unseren neuen Freunden, fahren wir weiter zum Nationalpark Huascarán, benannt nach Perus höchstem Berg, dem Nevado Huascarán mit 6768 m. Hier tauschen wir die Motorradstiefel gegen die Wanderschuhe und machen uns auf zur Laguna 69. Eine im wahrsten Sinne atemberaubende Wanderung. 720 Höhenmeter müssen wir bewältigen um den Anblick auf diesen türkisblauen Bergsee, eingebettet in schroffe, gletscherbedeckte Felswände, auf 4604 Meter zu genießen. Angesichts der dünnen Luft geht uns schnell die Puste aus. Aber schon auf dem Weg können wir uns kaum satt sehen an den schneebedeckten Gipfeln der Cordillera Blanca. Leider macht sich auch hier der Klimawandel in schockierender Weise bemerkbar: Das Eis der Gletscher zieht sich immer weiter zurück. Rinnen und Muränen lassen noch die einstige Größe erahnen.
Die Straße, welche uns am folgenden Tag weiter durch den Nationalpark führt, verlangt uns auch fahrtechnisch einiges ab. Aus dem groben, tiefen Schotter werden schon mal Felsbrocken und in den engen Serpentinen haben sich tiefe Fahrrillen und Auswaschungen gebildet. Aber umkehren ist keine Option. Das überwältigende Panorama der Berge hat uns in seinen Bann gezogen.
Neuer Ärger
Nach dieser anstrengenden, aber spektakulären Tour sind wir froh irgendwann wieder eine festere Schotterpiste unter den Reifen zu spüren. Aber so schnell wollen wir uns von den Bergen nicht trennen und suchen für die Nacht einen Platz für unser Zelt mit Panoramablick. Allerdings hat Toms Dakar was dagegen, denn wieder einmal leuchtet die uns schon so vertraute rote Temperatur-Warnlampe auf. Der erst in La Paz grundüberholte Ventilator ist festgegangen, der Motor ist durchgebrannt und hat obendrein die Hauptsicherung geschossen.
So bleibt uns nichts anderes übrig als im nächsten, in den Bergen weit von allen größeren Städten abgelegene Dorf eine Unterkunft zu beziehen. Unsere Handys haben hier keinen Empfang und können somit niemanden kontaktieren um Hilfe zu bekommen. Also zieht Andrea los, um im Dorfladen eine andere Sim-Karte zu besorgen. Ist mit ausländischem Pass auch kein Problem, es müssen nur alle Daten eingegeben werden. Allerdings ist „Alemania“ (Deutschland) nicht gelistet. Albanien, Afghanistan oder Aserbaidschan stehen hingegen zur Auswahl, aber der Verkäufer weigert sich, es damit zu versuchen. Wir sollen uns doch einen peruanischen Pass besorgen, dann verkauft er uns auch die Sim Karte, meint der Hirni.
Wir sitzen wieder fest
Am nächsten Tag fahren wir – mangels Kühlerlüfter mit vielen Abkühlpausen – in den nächstgrößeren Ort. Hier können wir endlich unseren Freund Anibal kontaktieren. Denn wir wollen für die Dakar den gleichen Lüfter besorgen, wie wir ihn schon in die GS eingebaut haben. Von Anibal bekommen wir auch den Tipp nach Chacas zu fahren. In dem kleinen Ort haben sich Italiener des Don Bosco Ordens niedergelassen, die mit der Operation Mato Grosso der armen Bevölkerung Bildung und Ausbildung angedeihen lässt, um so deren Lebenssituation zu verbessern. In der imposanten Stätte direkt neben der Missionskirche ist eine riesige Schreinerei samt Internat untergebracht, in deren Werkstätten wir den neuen Lüfter modifizieren können.
Wir dürfen in einem der leerstehenden Schlafsäle kostenlos übernachten, was uns nach den ganzen technischen Desastern nicht nur finanziell sehr entgegenkommt. Nun heißt es warten bis der neue Lüfter eintrifft. Natürlich kommt der nicht vorm Wochenende und so wird uns die Zeit immer länger. Als er jedoch auch Anfang der Woche nicht ankommt und wir jeden Tag hören, dass er am nächsten Tag ganz sicher da sein wird, fällt unsere Stimmung immer weiter in den Keller. Wir leben nur noch wie in einer Blase, fragen uns ständig, wann es denn endlich weitergeht. Das stellen der Sinnfrage ist in der depressiven Grundstimmung nicht mehr weit entfernt. Schließlich haben wir von knapp vier Monaten nun zweieinhalb durch Warten verloren.
Dass der beschauliche Ort mit seinem markanten Gotteshaus sehr schön ist, nehmen wir kaum mehr wahr. Dazu kommt, dass wir uns hier von den Italienern zwar geduldet, aber nicht so richtig willkommen fühlen. Dann scheint auch noch das Paket verschollen zu sein und der Paketdienst verweigert uns jede Auskunft.
Per Notlösung geht es weiter
In der Zwischenzeit haben wir in der hiesigen Werkstatt aus den beiden defekten Lüftern einen funktionierenden zusammenbauen lassen. So können wir wenigstens weiter fahren, auch wenn wir nicht wissen, wie weit. Als wir wieder startklar sind, fragen wir ein letztes mal nach dem Paket – und es ist tatsächlich da. Glücklich machen wir uns auf den Weg und fahren erneut durch den Nationalpark Huascaran gen Westen. Diesmal nehmen wir die asphaltierte südlichere der beiden Routen. Auch hier beeindrucken uns die schroffen Berge mit ihren gleißend-weißen schneebedeckten Gipfeln.
Atemberaubende Canyons, einsame Bergwelt
Wir wenden uns gen Norden. Unsere Route geleitet uns durch ein ganz besonderes Highlight, den Canyon del Pato. Eine enge, steilwandige Schlucht, welche die gigantischen Gebirgszüge der Cordillera Blanca und der Cordillera Negra zerschneidet. Die enge Straße führt durch ca 40 unbeleuchtete Tunnel, die Felswände rücken bis auf drei Meter aneinander heran.
Die Landschaft wird immer karger. Wir passieren immer wieder enge Schluchten mit verlassenen Kohleminen, die sich allenthalben in kleine, fruchtbare Ebenen öffnen. Immer wieder schrauben wir uns auf über 4000 Meter empor, um hinter dem nächsten Bergrücken wieder auf gut 2000 Meter hinabzugleiten.
Der Schock
Nach einem kurzen Stopp der nächste Schock: Die GS springt nicht mehr an, die Elektrik ist komplett tot, die Batterie liefert noch 4,2 Volt. Uns gehen die schlimmsten Befürchtungen durch den Kopf: Defekte Lichtmaschine? Batterie kaputt? Mitten in den Bergen, fernab der nächsten Stadt. Hört es denn nie auf? Wir prüfen die Batterieanschlüsse. Natürlich ist alles ziemlich verdreckt, da wir viele staubige Schotterpisten fahren. Also alles mal gründlich abschleifen und mit Starthilfe der Dakar springt die GS schließlich an. Die Batterie wird auch wieder geladen, die Lichtmaschine funktioniert. Auf- und Durchatmen!
Über kleine Sträßchen fahren wir die nächsten Tage weiter Richtung Nordosten. Eigentlich haben wir nach über vier Monaten langsam genug von Peru, aber ein Highlight wollen wir wir uns dennoch nicht entgehen lassen: Kuelap, ein befestigtes religiöses, handwerkliches und wissenschaftliches Zentrum der alten Chachapoyas-Kultur, welches auch als das zweite Machu Picchu bezeichnet wird. Doch kurz bevor wir dort ankommen, ereilt uns die nächste Panne. Die Dakar hat einen platten Hinterreifen. Ein zehn Zentimeter langer Nagel hat Reifen und Schlauch komplett durchbohrt.
Die nächste Panne
So mühen wir uns in der Hitze ab, bauen das Rad aus und wechseln den Schlauch. Denn der wurde durch den Nagel auf der Felgenseite so stark perforiert, dass wir ihn hier und jetzt lieber nicht flicken wollen. So beziehen wir Quartier auf einem kleinen Campingplatz direkt an der Hangkante. Die Aussicht ist so atemberaubend wie die Mosquitos aggressiv und die Hühner neugierig. Nachts um drei beginnt im Baum direkt über unserem Zelt der Hahn zu krähen. Und hört nicht mehr auf. Halb verschlafen und völlig platt macht Tom sich auf die Jagd nach dem Störenfried. Er treibt das Federvieh mit einer Stange aus dem Baum und jagt es ein paar mal quer durch den Hof. Nachdem er sich wieder hingelegt hat, beginnt das Gezeter aus dem Baum heraus indes von Neuem.
Völlig übernächtigt erreichen wir am nächsten Tag Tingo, unseren Ausgangspunkt für die Besichtigung der Siedlung und Kultstätte auf der gegenüberliegenden Bergspitze. Da es hier keine brauchbare Busverbindung gibt, müssen wir den steilen Weg bis nach Nuevo Tingo über Treppen erklimmen. Hier können wir die Tickets für die Seilbahn kaufen, welche 2017 ihren Betrieb aufgenommen hat. Mit Bussen werden die Besucher dann zur Talstation gebracht. Die Fahrt mit Perus einziger Seilbahn dauert 20 Minuten und überwindet rund 600 Höhenmeter.
Wir werden fuchsteufelswild
Oben informiert ein Museum über interessante Details zu Kuelap und seinen Bewohnern. Dann ein weiterer Fußmarsch von etwa 2 km bergauf und wir stehen endlich vorm Eingang zur antiken Stadt. Als wir die Pforte am Zaun öffnen wollen kommt uns ein Uniformierter entgegen und verweigert uns den Zutritt. Die Festung sei voraussichtlich bis Oktober geschlossen, da es vor einiger Zeit ein Erdbeben gab und Teile der Stätte kollabiert seien.
Das ist Pech, und so was kann halt einfach passieren. Was uns jedoch fuchsteufelswild macht ist, dass es nirgendwo einen Hinweis darauf gab. Weder am Ticketschalter der Seilbahn, noch am Museum. Im Gegenteil: Dort wollte man uns sogar noch einen Führer andrehen. Unser Zorn trifft nun den Uniformierten. Der zuckt nur mit den Schultern und meint, das stünde alles in den sozialen Netzwerken. Frustriert treten wir den Rückweg an und beschließen am nächsten Tag auf direktem Weg nach Ecuador zu fahren. Es wird Zeit, das Land zu verlassen.
Unser Fazit von Peru: Ein spektakuläres Land, das Wüste genauso bietet, wie Hochgebirge und tropischen Regenwald. Ein Land, das zu den beeindruckendsten gehört, die wir bisher bereist haben. Bei den Menschen fällt unser Urteil hingegen sehr viel durchwachsener aus. Wir haben viele äußerst freundliche und überaus hilfsbereite Menschen getroffen und einige gute Freunde hinzugewonnen. Und gerade die Motorradfahrer hätten ihr letztes Hemd gegeben, um uns weiterzuhelfen.
Doch die andere Seite der Medaille: Nirgends ist uns bisher mehr dumpfer Rassismus entgegen geschlagen, als hier. Gerade in den letzten Wochen haben sich die negativen Erfahrungen stark gehäuft. Begegnungen mit Menschen, die nichts mit uns „Gringos“ zu tun haben oder uns über den Tisch ziehen wollen. Wir haben uns zwar daran gewöhnt, ständig blöde angeglotzt zu werden. Und als Ausländer bei den Sehenswürdigkeiten den dreifachen Preis zu berappen. Doch allzu häufig wird uns in offenkundig leeren Hotels ein Zimmer verweigert. Tankwarte unterbrechen unseren Tankvorgang, wenn ein Einheimischer vorfährt. Und im Laden werden wir nicht mehr bedient, sobald sich – wie stets üblich – ein Peruaner vordrängt. Wir mussten des öfteren offene verbale Schmähungen über uns ergehen lassen. Und in einem Fall wollte eine Mutter ihrer Tochter sogar die weiße Haut einer Gringa vorführen.
Wir hoffen also, dass in Ecuador alles besser wird. Doch schon bei der Einreise gibt es Schwierigkeiten, mit denen wir nicht gerechnet haben…
Kilometer: 7124 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
Fotos:
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