Nach 7200 km erreichen wir endlich unseren eigentlichen Startpunkt: Ushuaia auf der Insel Feuerland (Tierra del Fuego) – die südlichste Stadt der Welt oder, wie hier oft zu lesen, das Ende der Welt.
Anfangs hatten wir gar nicht so große Erwartungen an die 80.000-Einwohner-Stadt. Immer hieß es nur, die meisten fahren nur hin um ein Foto zu machen als Beweis, dass sie dort waren. Uns gefällt es jedoch so gut, dass wir gar nicht so recht weg wollen. Jetzt kommen wir tatsächlich nicht weiter. Abermals sitzen wir fest. Aber es gibt schlimmere Orte.
Endlich Bargeld
Aber der Reihe nach: In Rio Gallegos im äußersten Südosten Argentiniens erhalten wir tatsächlich über die Geldtransferfirma Western Union die begehrten argentinischen Pesos – und das sogar zu einem mehr als passablen Wechselkurs. Ansonsten fehlen der 80.000-Einwohner-Stadt an der Atlantikküste jegliche Reize. Die Parkplätze unseres Hostels liegen offen an der Straße in einem eher düsteren Viertel. Die BMWs über Nacht dort stehen zu lassen kommt nicht infrage. Was tun? Koffer abnehmen und ins Zimmer schieben ist eine unserer Optionen. Nein, die bequemere Lösung ist einfach mal bei der Nachbarin zu fragen. Die rüstige, alleinstehende Maria überlegt nicht lange. Sie besitzt ohnehin kein Auto und hat so jede Menge Platz auf ihrem Grund. Sie öffnet uns das Tor zum Vorgarten und wir können die Moppeds, bewacht von ihrem Kampfdackel über Nacht dort parken. Wir revanchieren uns mit einer Flasche Wein.
Raus aus dem Moloch
Der Wind hat sich tags darauf etwas gelegt, wir verlassen den Moloch gen Atlantikküste, wo die über 100 Jahre alte Dreimast-Barke Marjorie Glen nach einer Havarie am Strand vor sich hin rostet. In der Vorbereitung der argentinischen Invasion auf den britischen Falklandinseln im Jahr 1982 hat die argentinische Luftwaffe das Wrack zu Schießübungen benutzt.
Wir fahren weiter nach Süden und überqueren abermals die Grenze zurück nach Chile, um nach bis Punta Arenas zu gelangen. In der Hauptstadt der chilenischen Region Patagonien regnet es wie aus Kübeln. Den Regentag nutzen wir, um die Motorräder in die Werkstatt zu bringen. Bei der Roten hat sich einer der Gabelsimmerringe quasi aufgelöst und die Dakar benötigt dringend ein neues Lenkkopflager – ein bekannter Schwachpunkt der F 650 GS. Doch haben wir vorsorglich die Ersatzteile aus Deutschland mitgenommen. Dringend nötig auf einer großen Motorradtour.
Seine Majestät König Pinguin
Von der Werkstatt geht es direkt zur Fähre mit der wir über die Magellanstraße auf die Insel Feuerland übersetzen. Der chilenische Teil der Insel ist flach und baumlos. Allzu viel gibt es erst mal nicht zu sehen. Aber nach einer Nacht in Porvenir erwartet uns weiter östlich ein Highlight: Wir besuchen eine Kolonie von Königspinguinen an der Bahia Inutil. Auch wenn es lustig aussieht, wie sich diese bis fast einen Meter großen Vögel im für Pinguine typischen Watschelgang in Bewegung setzen: Je länger wir sie beobachten, desto mehr können wir verstehen, warum sie Königspinguine heißen. Die schönen Vögel mit den orangegelben Halszeichnung verströmen tatsächlich etwas Majestätisches. Von unserem windgeschützten Beobachtungsstand aus dürfen wir mit Kamera und Fernglas die Tiere betrachten, weitere Einblicke in ihr Leben erlauben uns die Pinguine aber nicht. Wir haben das Gefühl, sie unterhalten sich. Vielleicht wundern sie sich über die komischen Menschen die immer hierher kommen. Für uns ist es jedenfalls ein unvergessliches Erlebnis.
Der Weg bis Ushuaia ist gut 550 Kilometer lang, weshalb wir in Rio Grande an der Ostküste der Insel übernachten. Eine weitere gesichtslose Stadt, in der hauptsächlich Öl gefördert und umgeschlagen wird. Danach wird die Straße immer kurviger, es gibt wieder schneebedeckte Berge und Seen. Auf einem Parkplatz begegnen wir einem Fuchs der wahrscheinlich von den Hinterlassenschaften der Touristen angelockt wird. Wir sehen immer mehr Motorradfahrer aus den unterschiedlichsten Ländern.
Die zwei Türme
Dann ist es endlich soweit, wir stehen vor zwei Türmen, die ankündigen, dass hier Ushuaia beginnt. Wie lange und wie oft haben wir daran gezweifelt, hier je anzukommen und jetzt stehen wir hier – ein unbeschreibliches Gefühl.
Für den nächsten Tag buchen wir eine Bootstour auf dem Beagle-Kanal, der natürlichen Wasserstrasse, welche Atlantik und Pazifik miteinander verbindet. Die Tour führt an einem Leuchtturm, sowie an kleinen Inseln mit Kormoranen, Seelöwen und Pinguinen vorbei. Diesmal sind es Magellanpinguine, die wesentlich kleiner sind und viel tapsiger wirken. Wir könnten sie stundenlang beobachten.
Dann startet der Grund warum wir uns so beeilt haben, hierher zu kommen – die zwölfte Auflage des Motorradtreffens „Encuentro Internacional de Motoviajeros en el Fin del Mundo“ der Motoviajeros de Ushuaia. Bis auf wenige Ausnahmen sind hier Argentinier und Chilenen vertreten, Einzelne kommen aus anderen Ländern Südamerikas. Wir sind die einzigen Teilnehmer von einem anderen Kontinent und damit die Exoten. Bei zwei gemeinsamen Ausfahrten rollt die ganze Motorrad-Kolonne hupend durch die Stadt. Auch sonst ist viel geboten, neben leckerem Essen gibt es eine Freestyle Show, eine Darbietung einer traditionellen, argentinischen Tanzgruppe und natürlich Livemusik die für die entsprechende Partystimmung sorgt.
Unendliche Herzlichkeit
Die Herzlichkeit und Freundlichkeit der Menschen beeindruckt uns gewaltig. Von Anfang an sind wir Teil der Truppe. Wir stoßen auf ebenso großes Interesse wie unsere Motorräder mit den exotischen Kennzeichen. Von allen anwesenden Motorradgruppen bekommen wir Aufkleber überreicht, und die Organisatoren begrüßen uns sogar offiziell als die Gruppe „Bike Voyagers“. Und abends müssen wir vor der versammelten Teilnehmerschaft obendrein ein Interview geben. Zum ersten Mal sind wir nicht die von außen Kommenden oder gar nur Touristen, sondern Teil einer großen Gemeinschaft. Motorradfahren verbindet eben – auf der ganzen Welt.
Am nächsten Tag gibt es etwas außerhalb von Ushuaia ein Abschiedsessen. Bei wirklich angenehmen Temperaturen und sogar etwas Sonnenschein wird der Grill angezündet.
Wehmut beim Abschied
Es fällt uns sehr schwer uns von unseren neuen Freunden zu verabschieden, haben wir hier doch unglaublich nette Leute kennengelernt, die uns ebenfalls kaum gehen lassen wollen. Auch unseren Freund Ricardo haben wir hier wieder getroffen. Aber wer weiß, ob wir nicht manche auf unserer Tour wiedersehen werden. Wie zum Beispiel Mabel und Gustavo die ihre beiden Hunde ins eigens umgebaute Topcase gepackt haben und sich auf einer Weltumrundung befinden. Auch sie wollen von hier erst mal bis Alaska. Unsere Wege werden sich bestimmt noch kreuzen.
Wir wollen am Nachmittag das gute Wetter ausnutzen und fahren in den Nationalpark Tierra del Fuego, ein Küstenpark mit einer vielfältigen Landschaft aus Mooren, Buchten und Wäldern. Hier endet auch die Route Nr. 3 welche Buenos Aires mit dem Süden von Argentinien verbindet. Auf einem Schild steht, dass es 17848 Kilometer bis Alaska sind. Natürlich nur Luftlinie aber da wir von Valparaiso bis hierher schon über 7.000 Kilometer gefahren sind müssen wir doch schmunzeln über diese „kurze“ Strecke.
Der Dakar wird warm
Bei unserer Abreise aus Ushuaia schließen wir uns noch Ricardo und seinem Freund Jorge an – einem immer gut gelaunten Wonneproppen, der wegen seines weißen Rauschebarts „Papa Noel“ (der Weihnachtsmann) genannt wird. Wir begleiten die beiden bis Puerto Almanza, ein kleiner idyllischer Ort am Beagle Kanal in dem es die besten Centollas (Königskrabben) geben soll. Auf den letzten Kilometern bleibt Tom plötzlich stehen und macht den Motor aus. Die Kontrolllampe für die Wassertemperatur leuchtet. Wir geben der Dakar ein paar Minuten zum Abkühlen und fahren schließlich langsam weiter bis zum Dorf. Um den Wasserstand zu kontrollieren muss auch wieder ein Teil der Verkleidung abgebaut werden. Da sich aber noch reichlich Kühlmittel im Ausgleichsbehälter befindet, muss es ein anderes Problem sein. Da die Anzeige auch bei der Rückfahrt wieder aufleuchtet beschließen wir kurzerhand die Dakar nach Ushuaia abschleppen und den Fehler in einer Werkstatt suchen zu lassen.
So fährt Andrea mit Ricardo und Papa Noel zurück nach Ushuaia und Tom wartet auf den rettenden Transporter. Ein freundlicher Marineoffizier gewährt ihm Unterschlupf vor dem aufziehenden Regen und versorgt ihn mit Joghurt und Waffelriegeln.
Fast ein Kriegsschauplatz
Die friedliche Szenerie hier am Beagle-Kanal kann indes nicht darüber hinweg täuschen, dass es an dieser Stelle vor rund 40 Jahren fast zu einem Krieg mit dem chilenischen Nachbarn um einige der Magellan-Inseln gekommen wäre. Die überall an dieser idyllischen Bucht installierten Artillerie- und Flakgeschütze legen noch heute Zeugnis über einen Konflikt ab, der einzig dank der Vermittlung durch Papst Johannes Paul II ohne Waffen gelöst werden konnte.
Nach zirka zweieinhalb Stunden taucht ein weißer Pickup auf. Quique, einer der Organisatoren des Motorradtreffens hat sich gemeinsam mit seinen Freunden Gustavo und Neique auf den einfach 100 Kilometer langen Weg gemacht, um die BMW zu bergen. Auf der Fahrt gab es den bei den Argentiniern omnipräsenten Mate-Tee, der reihum aus derselben Tasse getrunken wird. Ein hauptsächlich bitteres Gebräu, das Tom der Geselligkeit halber gern mittrinkt. Ein Genuss ist es nicht wirklich.
Nach eineinhalb Stunden ist die Werkstatt in Ushuaia endlich erreicht. Erstmal gibt es noch mehr Mate, bevor der Chef – ebenfalls Quique genannt – das Diagnosegerät anschließt. Die Elektrik ist in Ordnung. Wir schaffen die Dakar in Quiques Transporter in die nächste Werkstatt am anderen Ende Ushuaias. „Teile für BMWs gibt es hier nicht. Wenn überhaupt, dann in Santiago, Osorno oder Buenos Aires“, zerstört der sympathische Mittvierziger jegliche Hoffnung auf rasche Weiterreise. Tolle Aussichten, da wir davon ausgehen, dass die Wasserpumpe defekt ist. Am nächsten Tag sollen wir eine Diagnose bekommen. Wir sitzen also ein weiteres Mal fest – diesmal gar am Ende der Welt.
Kilometer: 7232
Eine Übersicht über unsere bisherige Route findet Ihr wie immer hier.