Düsseldorfer im Karneval? Selbstverständlich! Auch in Bolivien! Und im benachbarten Peru erwarten uns einmal mehr atemberaubende Landschaften, ein Vulkanausbruch und schließlich das jähe Ende in einer Missionsstation. Vom Titicacasee in die größten Schluchten der Welt…
Das Städtchen Copacabana am Titicacasee, kurz vor der peruanischen Grenze, sollte eigentlich nur eine Zwischenstation sein, bevor wir nach Peru weiterfahren. Zumal es uns bei einem ersten Rundgang viel zu touristisch erschien. Mit zahllosen Restaurants, Bars und anderen Abfütterungsstationen, die mehr oder minder alle das gleiche anbieten. Und mit Backpacker-Hostels, Souvenirläden und geradezu marktschreierisch anpreisenden Touranbietern.
Wo wir schon mal da sind und einen netten Campingplatz gefunden haben, der nur durch einen Schotterweg vom Seeufer getrennt ist, beschließen wir, uns den Wallfahrtsort trotzdem etwas näher anzuschauen. Obwohl touristisch geprägt, wirkt die Uferpromenade etwas verschlafen und hat wenig gemein mit dem berühmten brasilianischen Namensvetter. Wir wandern auf den steilen Kalvarienberg – ein schweißtreibender Aufstieg vorbei an 14 Kreuzwegstationen.
Oben angekommen sind wir völlig außer Puste. Kein Wunder, liegt Copacabana doch auf 3800 Meter über Meeresniveau. Die Aussicht auf das tiefblaue Wasser des Titicacasees belohnt uns, auch wenn wir uns auf dem Berg selber lieber nicht genauer umschauen. Alles vermüllt – so wie weite Teile des ganzen Lands.
Auf dem Rückweg in die Stadt hören wir schon von weitem laute Musik und sehen eine Menschenansammlung. Neugierig drängen wir uns nach vorne. Große Gruppen in traditionellen Kostümen aus allen Ecken Boliviens ziehen tanzend vorbei. Marschkapellen – der alemannischen Guggenmusik nicht unähnlich – spielen fetzige Rhytmen dazu. Ein ganzer Schwall Konfetti regnet auf uns herab. Aber Karneval ist doch schon vorbei! Nicht in Bolivien, wie wir erfahren. Die sonst doch eher ernste Bevölkerung feiert auch noch zwei Wochen nach unserem deutschen Aschermittwoch ausgelassen weiter.
Während der Umzug noch seine Runden zieht, wird hier LKW um LKW mit Bierkästen abgeladen. Dass man im Düsseldorfer Karneval nicht ins Glas spuckt, ist bekannt. Doch die enormen Batterien an Hopfensaft, die hier auf den Durst der Jecken warten, nötigen uns gehörig Respekt ab. Zusammen mit anderen Touristen stehen wir am Rand und schauen dem Spektakel vor der großen Live-Bühne zu. Als Gringos sind wir hier außen vor und im Geschehen vor der Bühne unerwünscht.
Mittendrin statt nur dabei
Das ändert sich jedoch schnell, denn Tom wird allenthalben auf seine Ähnlichkeit mit einem bekannten südamerikanischen Filmstar angesprochen. Immer öfter bekommen wir als Quasi-Prominenz von den Karnevalisten den Becher gereicht, immer wieder fallen uns Jecken um den Hals und wollen sich mit uns fotografieren lassen. Die rund 30 Mitglieder einer Karnevalsgesellschaft aus El Alto haben derart einen Narren an uns gefressen, dass sie uns an den Barrikaden vorbei in den Hexenkessel vor der Bühne zerren.
Als einzige Gringos sind wir mitten in der Party, die eigentlich ausschließlich den Einheimischen vorbehalten ist. Wir bekommen Strohhüte aufgesetzt und mit Unmengen an Luftschlangen um unseren Hals zeigen uns unsere neuen Freunde ihr Wohlwollen. Wir tanzen, trinken Bier, tanzen und trinken noch mehr Bier. Es wird ein feucht-fröhlicher Abend. Denn, wie uns Jorge erklärt, ist dies endgültig der letzte Karnevals-Tag und das wird dementsprechend noch ausgenutzt. Ständig wird für Biernachschub gesorgt und beim Zuprosten wird nie vergessen auch einen Schluck für Pachamama (Mutter Erde) auf den Boden zu gießen.
Dabei werden selbst die sonst sehr zurückhaltenden und stillen bolivianischen Frauen locker und redselig – wir werden ausgefragt über unser Leben in Deutschland, unsere Tour, einfach alles. Nicht verheiratet und keine Kinder? Großes Staunen – in Bolivien undenkbar. Auch wenn sich unsere Leben drastisch unterscheiden, beim Karneval ist es doch überall gleich. Es geht darum Spaß zu haben, gemeinsam zu feiern und zu tanzen. Für uns ein unvergessliches Erlebnis, dass wir an einem der letzten Tage in diesem Land so herzlich in einer Gruppe Einheimischer aufgenommen werden. Gerade so, als wollten sie auf den letzten Metern unser Bild von den Bolivianern noch um 180 Grad drehen.
Auf den Spuren der Inka
Etwas verkatert, aber dennoch gut gelaunt nehmen wir am nächsten Morgen teil an einer Bootstour zur Isla del Sol (Sonneninsel) und Isla de la Luna (Mondinsel) welche in der Inka-Mythologie eine große Rolle gespielt haben. Der Seegang trägt nicht unbedingt zu unserem Wohlbefinden bei. Wir schlendern durch die Ruinen der Inka-Tempel und genießen die Landschaft sowie die Ausblicke über den stahlblauen und allenthalben in der Sonne glitzernden See. Doch leider bleibt uns der Zugang zum Nordteil der Sonneninsel verwehrt, da die Inselbewohner im Dauerstreit liegen und kurzerhand alle Wege nach Norden gesperrt haben.
So schön die Inseln auch sind, aber solche geführten Touren mit einem Haufen anderer Touristen liegen uns einfach nicht. So machen wir uns auf, mit den Motorrädern die Halbinsel Copacabana zu erkunden. Die Schotterpiste führt uns durch kleine, verschlafene Dörfer und vorbei an malerischen Buchten. In der Ferne sehen wir die Cordillera Real (Königskordillere), eine Gebirgskette mit sieben Sechstausendern. Wir genießen die Ruhe hier, ein krasser Gegensatz zu den letzten beiden Tagen.
Zu den schwimmenden Inseln
Am Abend sind wir mit Heike und Gregor zum Essen verabredet. Die beiden Hagener sind mit ihrem VW Bully seit 5 Monaten in Südamerika unterwegs und übernachten auf dem selben Campingplatz. Spontan beschließen wir gemeinsam eine Tour zu den schwimmenden Schilfinseln zu machen. So führt uns unsere Reise am nächsten Tag nach Peru, wo wir uns auf einem Campingplatz in der Nähe von Puno verabreden.
Mit Peru erreichen wir nun das vierte Land auf unserer Tour. Die Dörfer entlang des Titicacasees bis Puno wirken auf uns etwas geordneter als in Bolivien. Auch fällt uns auf, dass weniger Müll am Straßenrand liegt. Die Menschen begegnen uns weitgehend genauso reserviert wie die Bolivianer, allerdings treffen wir in der Markthalle von Puno auch auf freundliche, lächelnde Gesichter und die Marktfrauen machen sogar Scherze mit uns Gringos.
Für unsere nächste Tour haben wir den Tipp bekommen sie bei Yordy und Dina zu buchen. Diese beiden sind nämlich selbst Nachfahren der Uros, einer ethnischen Gruppe von heute noch ca. 2000 Menschen, welche auf den schwimmenden Schilfinseln im Titicacasee leben. Um den fortwährenden Überfällen der Inka ein Ende zu setzen entschieden sich die Uros vor vielen Jahrhunderten, ihr Leben auf den See zu verlagern. Mit ihrem kleinen Boot bringen die beiden Mittzwanziger uns zur Insel, auf der sie mit ihrer Familie leben und Yordi erklärt uns sehr anschaulich mit kleinen Modellen, wie so eine Insel gebaut wird und schildert das Leben dort. Anschließend gibt es noch eine Rundtour durch die schwimmende Gemeinde. Wir kommen an schwimmenden Schweineställen vorbei und sogar eine Schule gibt es hier – alles auf Schilf gebaut.
Das Material, das am Ufergürtel wächst bedeutet für die Bewohner ihr Leben – nicht nur die Inseln, sondern auch die Boote, sämtliche Gebäude und sogar die Inneneinrichtung bestehen aus dem organischen Material. Auf jeder Insel lebt eine Großfamilie. Was unten wegrottet wird oben nachgelegt – ein fortwährender Prozess. Doch spätestens nach 25 Jahren muss eine komplett neu gebaute Insel her, denn dann ist die alte marode. Eine ökologische Sache. Dennoch erstaunt uns, in welchem Maß der See hier vermüllt ist – ein Problem, das sich Peru mit allen seinen Nachbarn zu teilen scheint.
Ins Reich der Feuerspeier
Am nächsten Tag trennen sich unsere Wege wieder. Gregor und Heike treten ihren Rückweg nach Montevideo an, wir nehmen die Strecke durch die Fünf- und Sechstausender zum Colca Canyon unter die Räder, das nächste Highlight auf unserer Route durch Peru. Der Weg dorthin führt uns an den „Mirador de los Volcanes“, einen Aussichtspunkt auf 4910 Metern mit Blick auf die umliegenden Vulkane. Als wir uns hier mit Kamera und Fernglas umschauen, werden wir Zeugen eines ganz besonderem Naturschauspiels. Aus dem Vulkan Sabancaya schießt plötzlich eine riesige Rauchwolke. Immer wieder legt der Feuerspeier nach. Auch als wir weiterfahren, sehen wir wie der Vulkan immer wieder dichte Wolken spuckt.
In der folgenden Nacht regnet Vulkanasche auf unser Zelt sowie die Motorräder nieder und verbindet sich mit dem Tau zu einer alles überziehenden Schmiere. Eine Riesensauerei, wie wir am nächsten Morgen feststellen müssen.
Die Straßen durch den Colca Canyon führen durch kleine Andendörfer mit Kolonialkirchen und den für Peru typischen Terrassenhängen. Hier haben die Völker schon lange vor den Inkas Obst und Gemüse angebaut. Auch sonst hat die Natur hier viel Abwechslung zu bieten, wie zum Beispiel eine große Anzahl unterschiedlicher Kakteenarten sowie tief eingeschnittene Seitencanyons mit Wildflüssen und Katarakten. Die beschaulichen Dörfer am Nordufer des Rio Colca hat der Tourismus noch weitgehend verschont. Uns fällt eine Kirche auf, deren Türme eingestürzt sind. „Das war das schwere Erdbeben von 2007“, erzählt uns die Messnerin. „Und weder Regierung, noch Kirche geben uns Geld für einen Wiederaufbau“, wettert die Frau. Hier gibt es nicht weniger als 5 Beben pro Tag, wir sind in einer der seismisch aktivsten Regionen der Welt.
Wir steuern einen Aussichtspunkt am Südrand an, das „Cruz del Cóndor“. Hier lassen sich nämlich die majestätischen Kondore bei ihrem Flug durch die Schlucht beobachten. Es dauert auch nicht lange und wir sehen vier der beeindruckenden, bis zu 80 Jahre alten Vögel ihre Runden drehen.
Die atemberaubende Landschaft hat uns Lust auf mehr gemacht und wir fahren Richtung Cotahuasi Canyon – die mit 3370 Metern tiefste Schlucht der Welt.
Im tiefsten Canyon der Welt
Der Weg dorthin zieht sich immens. 800 Kilometer auf fiesen, materialmordenden Waschbrett-Schotterpisten geht es durch unwirtliche Bergregionen hinunter in die Wüste und weiter durch Oasen, wieder über einsame Passstraßen zwischen wolkenumhüllten Sechstausendern hindurch. Kein Wunder, dass es dort kaum Tourismus gibt, denken wir. Wir frösteln und müssen angesichts des aufziehenden grimmigen Gewitters einmal mehr kurz vor dem Ziel eine Übernachtung einlegen. Tags darauf geht es in Serpentinen endlich hinab nach Cotahuasi, die mit rund 1500 Einwohnern größte Siedlung in der Schlucht.
Eine – zumindest bei Trockenheit – gut befahrbare Schotterpiste führt zu einer Thermalbadanlage – genau das, was wir jetzt brauchen. Doch als wir dort angelangen, stellen wir fest, dass die Anlage momentan umgebaut wird und daher geschlossen ist. Dennoch gestatten uns die Betreiber, in dem Idyll direkt am Schilfgürtel des Cotahuasi Rivers unser Zelt aufzustellen. Wir machen uns auf, die noch immer wilde, usrprüngliche Schlucht zu erkunden. Üppiges Grün und große Wasserfälle zeugen vom Wasserreichtum während der gegenwärtigen Regenzeit – ebenso wie die nachmittäglichen Gewitter, die uns immer wieder zum Umkehren zwingen und die allabendliche Regendusche.
Über abgelegene Pisten fahren wir durch ursprüngliche Dörfer, deren Einwohner uns verdutzt anblicken, als kämen wir von einem anderen Stern. Auf der anderen Seite der Schlucht sehen wir eine einspurige Piste, die sich an den mehrere hundert Meter hohen Hang krallt. Das ist der Weg nach Quechualla, wo sogar Wein angebaut wird. Die ungesicherte Strecke steht angesichts des lockeren Untergrunds und des hunderte Meter tiefen Abhangs der bolivianischen Death Road in nichts nach.
Durch die Berge bis zum jähen Ende
Wir beschließen, uns nach Cusco und zur Welterbestätte Machu Picchu durch die einsamen Berge zu schlagen. Zu verlockend sind die Hochebenen und die Einsamkeit in der Wildnis auf fast 5000 Metern, auch wenn es mindestens drei Tage in Anspruch nehmen wird. So fahren wir viele Kilometer über die schlammigen Pisten am Rio Cotahuasi entlang, bis der Weg steil in die Berge ansteigt. Der enge Canyon, die schroffen Felsen und die gigantischen Wasserfälle bilden ein einzigartiges Ensemble.
Allenthalben bewegen wir uns an steilen Abhängen entlang, furten tiefe Wasserlöcher und kämpfen uns ab und an gar durch Schneematsch. Immer ausgewaschener und weicher wird die Piste, bis wir jäh an einem breiten Fluss zum Stehen kommen. Auf der anderen Seite führt der Weg weiter. Wir gehen am Ufer entlang und steigen immer wieder in die eisige Flut auf der Suche nach einer geeigneten Stelle zum Furten. Doch angesichts fast hüfthohen Wassers und satter Strömung wäre das Unterfangen lebensgefährlich. Das bedeutet: An Ort und Stelle übernachten und dann die ganzen 130 Kilometer Piste zurück nach Cotahuasi. Wir sind vom Offroadfahren auf 4900 Metern erledigt, unsere Klamotten und Stiefel sind nass vom Fluss, wir frieren.
Im Internet haben wir gelesen, dass Asien und Europa von Corona heimgesucht wird. Gut, dass wir 10.000 Kilometer weit weg sind, denken wir. Am nächsten Tag starten wir früh, um den nachmittäglichen Gewittern zu entgehen. Auf der Piste am Rand eines der Bergdörfer ist ein europäisch aussehender Mann aus seinem Land Cruiser gestiegen und bedeutet uns, anzuhalten. Brad, ein US-Amerikaner, lebt mit seiner Frau seit 25 Jahren in Cotahuasi und hat eine kleine Missionsstation aufgebaut. Er habe von seiner Frau soeben beunruhigende Nachrichten erhalten, erzählt er uns. Angeblich habe die Regierung eine Ausgangssperre angeordnet. Das würde für uns bedeuten, dass wir spätestens in Cotahuasi von der Polizei festgesetzt werden. „Ihr könnt gern zu uns kommen, bis dahin haben wir sicherlich mehr Informationen“, so der sympathische 63-Jährige.
Die Einladung nehmen wir gern an und verbringen eine Nacht in der Missionsstation. Nicht ahnend, was noch auf uns zukommen wird…
Lest im nächsten Blog, wie wir in Cotahuasi in totaler Ausgangssperre sitzen, von der Polizei festgenommen werden und im allerletzten Augenblick noch schaffen, aus dem Land zu flüchten…
Kilometer: 22.775
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
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