Wir verlassen den mexikanischen Bundesstaat Sinaloa und setzen über auf die Baja California Halbinsel mit ihren endlosen Wüstenlandschaften. Was wir noch nicht ahnen: Hier gewinnen wir mehr neue Freunde hinzu als im kompletten Rest Mexikos.
Nach einer Nacht mit wenig Schlaf auf der Fähre, eingepfercht zwischen mittelmäßig gut riechenden und lauthals schnarchenden Lkw-Fahrern, spuckt uns der Zossen auf der Baja wieder aus. Noch etwas benommen fahren wir nach La Paz und treffen Edgar. Der sympathische Mittvierziger ist Präsident des örtlichen Chapters des Fantasmas MC. Er war so freundlich, einige Sendungen für uns entgegen zu nehmen. Unter anderem Motoröl, das wir noch in Edgars Einfahrt der Dakar verabreichen. Edgar ist ganz dankbar um das Altöl, schließlich braucht er den Stoff, um seinen Lattenzaun zu streichen. Nun ja, jeder macht die Dinge anders.
Der Dichter am Lenker
Da wir ganz in den Süden der Baja in Richtung der Cabos wollen, kontaktiert Edgar flugs seinen Freund Anastacio in Todos Santos, dass wir auf der Durchreise sind. Wenig später treffen wir den freundlichen und recht zerstreuten Künstler und Literaten. Er erzählt uns von seinen Romanen und Gedichtbänden, die er verfasst hat, während seine Frau Anna uns leckere Burritos serviert. In ihrem großen Garten, dem „Bunker“ ziehen die beiden sämtliches Gemüse für ihren Bedarf, inklusive der Chiltipin-Chilis für Annas geniale Salsa. Einmal im Jahr ist der Bunker aber auch Schauplatz eines Künstlertreffs mit Gesang, Dichterlesungen und Rezitationen. Wie nebenbei erzählt uns der Eigner einer Royal Enfield Himalayan und einer Honda XRE 300 von der Ruta de las Misiones. Einer zehntägigen Rundtour über den Südteil der Baja. Die Halbinsel ist übersät mit alten Missionen und Klöstern, die bis ins 16. Jahrhundert zurückreichen und einst die christliche Besiedelung vorangetrieben haben. Über 30 Biker reisen aus ganz Mexiko an, in eineinhalb Wochen gehe es los, so Anastacio. „Wenn ihr wollt, könnt ihr mitfahren“. Wir sind Feuer und Flamme, schließlich verspricht die Tour ein unvergessliches, intensives Erlebnis.
Auf Kuttentaufe beim MC
Damit haben wir jetzt noch eineinhalb Wochen rumzukriegen, und wir starten weiter gen Süden. Im mondänen, von US-Touristen gefluteten Cabo San Lucas hat uns Hector eingeladen. Der Lebenskünstler lebt in einem kleinen Häuschen mit seiner Tochter. Er ist der Präsident des vor zwei Jahren erst gegründeten Sea Skulls MC.
Abends helfen wir, Tische in seiner kleinen Einfahrt aufzubauen, denn es soll das monatliche Club-Treffen steigen. Und wir sind die Ehrengäste des Abends. Das Bier fließt in Strömen, die Stimmung unter den zwölf Members ist ausgelassen.
Nachts um eins schließlich der Höhepunkt: Zwei neue MC-Mitglieder bekommen ihre Sea-Skulls-Kutte verliehen. Zu brüllend lauter Musik legen die beiden mit jedem der anderen Members einen Walzer auf den Asphalt und werden dabei mit literweise Bier übergossen.
Es folgt ein Corso durch die Stadt – auf den Motorrädern. Wir bleiben indes zurück, denn Alkoholpegel und Motorradfahren vertragen sich für uns nicht. Die Sea Skulls sehen das eher locker. Wir waren in Lateinamerika bereits bei vielen MCs eingeladen, doch hier haben wir unsere erste Kuttentaufe miterleben dürfen.
Auf zu den Traumstränden
Wir haben den MC und seine sympathischen Kerle richtig ins Herz geschlossen, und so fällt der Abschied schwer. Doch wir wollen die Cabos erkunden, jenen Küstenstreifen im Süden der Baja, der mehr oder minder einen riesigen Sandstrand darstellt. Da wir uns in der Wüste befinden, gibt es an den traumhaften Stränden nur wenig Schatten, was uns beim Camping ein wenig zu schaffen macht. Wir kämpfen uns mit unseren abgefahrenen Reifen über die Sandpiste und verweilen immer wieder an den schönsten und einsamsten Stränden.
Clowns am Drücker
Am Südostzipfel liegt der Cabo Pulmo Nationalpark, ein marines Schutzgebiet, in dem sich Wale, Haie, Rochen und alle Arten von Fischen zwischen großen Korallenriffen tummeln. Die Biodiversität ist hier außergewöhnlich hoch. Und so buchen wir eine Bootstour, um Wale zu beobachten und beim Schnorcheln zwischen den Korallenriffen Drücker- und Clownfische zu beobachten. Ein Erlebnis der Extraklasse.
Der mit dem Kaktus tanzt
Am anderen Ende spuckt uns die Sandpiste wieder aus und wir fahren zu einem der interessantesten Spots auf der Baja. Es sprudelt geradezu aus Lupe heraus, als er uns alles über die Kakteen, ihre Früchte, die Wüste sowie ihre Fauna und Flora erzählt. Der 54-Jährige Einheimische führt uns durch das „Santuario de los Cactus“ in El Rosario, ein für Besucher frei zugänglicher Teil eines großen Wüsten-Naturparks. Selbst Biologen von verschiedenen US-Unis kommen für Feldstudien hier her.
„Von oben nach unten, sonst piekt es“, erklärt er, wie man mit den Handflächen über den Pitaya-Dulce – einen Orgelpfeifen-Kaktus – streicht, um positive Energie aufzunehmen.
Über 50 verschiedene Arten sind hier zu sehen. Der größte ist ein Cardon Barbon mit rund 17 Metern Höhe und einem Meter Stammdurchmesser. Der sei gut 400 Jahre alt, schwärmt Lupe. Die einsäuligen davon sind recht flexibel. Und schon schnappt sich der Mexikaner einen Cardon, schüttelt ihn in Wallung und bittet uns zum Tanz mit dem solcherart völlig überrumpelten Stück Vegetation.
Sämtliche Wüstenpflanzen seien Überlebenskünstler, erklärt der Experte. Kakteen bestehen zu 80 Prozent aus gespeichertem Wasser. Und in schwierigen klimatischen Bedingungen helfen sich alle Pflanzen über ihre Wurzeln gegenseitig mit Wasser und Nährstoffen aus. „Davon könnte sich der Mensch eine ordentliche Scheibe abschneiden“, meint Lupe.
Doch der Cardon kann auch anders. Tragen Vögel Kot mit Cardon-Samen auf einen Baum, so wächst der Kaktus parasitär aus seinem neuen Wirt heraus. Auch umgestürzte oder abgestorbene Kakteen sind Nährboden für neue Artgenossen.
Auf in den Karneval
Wir fahren zurück nach La Paz, der Hauptstadt der Baja Sur. Als Düsseldorfer fehlt uns freilich der Karneval, doch in La Paz gibt es ihn. Bei einem Bier sehen wir uns vom Straßenrand aus den Umzug an. Lärmend und aufwendig geschmückt die Wagen, edel gewandet die Fußtruppen.
Wie eine Familie
Unser Highlight in La Paz schließlich ist der Start der Ruta de las Misiones. An einer Tankstelle trifft sich der gesamte Tross – 36 Biker aus ganz Mexiko. Abgesehen von einem Kanadier sind wir die einzigen Ausländer. Äußerst herzlich nehmen die Mexikaner uns in ihrer Mitte auf. Wir sind die ersten Biker von einem anderen Kontinent, die an der jeden Februar stattfindenden Ruta teilnehmen.
Auf den rund 3600 Kilometern durch die Wüstenlandschaft sind Kurven Mangelware, die mit 168 Kilometern zweitlängste Gerade der Welt führt durch Cardon-Kakteen und Mesquite-Bäume zur Mission in La Purisima.
Mariachi im Bunker
Fischer Mario erzählt vom Fischfang und kredenzt leckere Langusten-Buritos in seinem Dorf Bahia Tortuga. RV-Park-Betreiber Jaime organisiert Tacos mit Gegrilltem für die ganze Truppe, die örtliche Presse berichtet über den Tross an Zweirädern. Und den feierlichen Abschluss verleben wir mit der zu einer eingschworenen Gemeinschaft zusammengewachsenen Truppe bei Live-Mariachi-Musik und Bier in Anastacios „Bunker“ in Todos Santos.
In den zehn Tagen haben wir nicht nur entlegene Winkel der Baja gesehen, sondern – mehr noch – Freunde fürs Leben gefunden. Wir müssen versprechen, eines Tages zurückzukehren und wieder mitzufahren. Und das werden wir sicher tun.
Start gen Norden – mit Hindernissen
Es ist mittlerweile März, unser Visum für Mexiko läuft bald aus, ebenso unsere Zollpapiere. Und Alaska ruft. So wenden wir uns schließlich gen Norden, übernachten ein weiteres mal auf dem genialen Campingplatz von Jaime mit Pool und Pavillon. Jaime hat eigens für uns eine kleine Party mit den örtlichen Teilnehmern der Ruta organisiert, es gibt gegrillten Fisch, Tacos und Bier.
Wir wollen nicht ein weiteres Mal die Hauptstrecke fahren, und so wenden wir uns nach La Purissima und nehmen die Strecke gen Norden. Doch die wird von einer Sandpiste schließlich zu einer extrem felsigen Tortur, die mit den eher schweren BMW kaum mehr zu schaffen ist. Andrea reißt sich an einem Felsen einen der Koffer auf, und so treten wir den Rückweg nach Constitucion an. Jaime begrüßt uns verblüfft und hilft uns bei der Reparatur der Schäden. Er erzählt uns, dass die harte Piste ein Teil der Route der Baja-1000-Rallye ist und ansonsten von niemandem gefahren wird.
Schließlich kommen wir doch noch los, in Ensenada im Norden der Baja erwartet uns bereits Jorge, ebenfalls einer der Teilnehmer der Ruta, und obendrein Eigner einer der renommiertesten Autowerkstätten. Wieder einmal ist an der GS die Wasserpumpe fällig. Und wir dürfen uns in der top ausgestatteten Werkstatt an die Arbeit machen. Zweieinhalb Tage lang bringen wir die beiden Maschinen auf Vordermann. Zum Dank kredenzen wir der Belegschaft unseren legendären Schwäbischen Kartoffelsalat.
Bier besser als Wein
Was uns bis dato gänzlich unbekannt war: Auf der Baja California wird Wein angebaut. Recht exklusive Tropfen – zumindest, was den Preis anbelangt. Das macht uns neugierig, und nachdem das Valle de Guadalupe ohnehin auf unserem Weg gen USA liegt, machen wir einen Abstecher in zwei der lauschig gelegenen Weingüter.
Von den Tropfen sind allerdings nur die Teuersten wirklich gut, und so fällt unser Augenmerk auf eine kleine Hausbrauererei, auf deren Gelände wir sogar zelten dürfen. Angesichts des strömenden Regens schmecken IPA, Porter und Co erst richtig gut.
Werden wir alles verlieren?
Am nächsten Morgen hat es aufgeklart. Es ist der letzte Tag unseres Visums sowie der Zollpapiere für die Motorräder. Wir wollen die letzten 70 Kilometer in Mexiko gen US-Grenze unter die Räder nehmen. Andrea drückt den Startknopf ihrer F650GS. Es passiert – nichts. Batterie defekt. Die Zeit läuft gegen uns, wir versuchen einen neuen Stromspeicher aufzutreiben, verbringen den Nachmittag am Telefon. Ohne Ergebnis. Sieht so aus, als verlören wir die hinterlegte Summe für die BMWs. Zudem drohen Geldstrafe und Einreiseverbot.
Doch in letzter Minute erhalten wir eine Nachricht von Randy, einem einheimischen Motorradfahrer aus Tecate. Er bietet an, uns mit seinem Pickup abzuholen, an der Grenze die Formalitäten zu erledigen und uns bei sich zu beherbergen. Mit Randy, Sohn Kaleb und Gattin Sol hieven wir schließlich die havarierte GS auf die Ladefläche. Es ist bereits dunkel, als unser Tross an der Grenze vorfährt und den erlösenden Papierkram erledigt. Immer wieder raubt die Hilfsbereitschaft, die Herzlichkeit und die Gastfreundschaft der Mexikaner uns den Atem.
Gastfreundschaft pur
Schließlich lädt die Familie uns ein, das Wochenende mit ihnen in der benachbarten Sierra zu verbringen. Wir verleben eine wunderbare Zeit. Doch kommt es am Ende zu einer folgenschweren Attacke auf Andrea, unter der sie noch heute leidet. Mehr dazu lest ihr im nächsten Beitrag.
Kilometer: 50757 (+23989)
Unsere Route findet ihr wie immer hier.
Fotos:
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