Mit gestrenger, aber dennoch irgendwie wohlwollender Miene blickt uns der Bauarbeiter auf dem Col d’Iseran an. Ein Achselzucken und ein mildes, wenn auch etwas verunsichertes Lächeln unter dem Helm hervor klären die Situation. Gut so, denn dieser ebenso gewaltige wie faszinierende Ort ist für Zwist viel zu friedvoll und ruhig.
Eigentlich hätten wir die Straße gar nicht befahren dürfen. Das Absperrgitter, das den Pass als gesperrt ausweist, zu umfahren war mit den Motorrädern kein Problem. Und die Sperrung nicht zu ignorieren, hätte für uns einen Umweg von 180 Kilometern bedeutet. Die Straße war von den fleißigen Straßenarbeitern bereits von den stellenweise vier Meter hohen Schneefelder freigefräst worden. Scharen von Murmeltieren wärmten sich den Bauch am von der Sonne aufgeheizten Asphalt. Entsprechend die Panik unter den Pelzknäueln, als wir mit den Moppeds ums Eck gebogen kamen.
Wir befinden uns auf dem Weg in unsere angepeilte Urlaubsregion Piemont und hätten auf dem Schlenker durch Frankreich mit solch majestätischen, schroffen Bergformationen nicht gerechnet.
Unser Ziel ist es, kräftig im Dreck zu spielen, nachdem wir schon im Schweiße unseres Angesichts ein Zwei-Tages-Offroadtraining absolviert hatten. Schon lange haben die schönen Schotterpässe und Militärsträßchen im Piemont und den Französischen Alpen auf unserer Agenda gestanden, aber irgendendwie haben wir diese Pläne nie umgesetzt. Stattdessen hat es uns eher auf den Balkan oder nach Schottland gezogen.
Doch die Alpentour sollte nicht nur die Anwendung dessen sein, was wir im Westerwald gelernt hatten, sondern in der Hauptsache ein Testlauf für die Motorräder sowie unser gesamtes Equipment, das wir auf die große Tour mitnehmen wollen. Damit sind wir also mit einem Wust an Ausrüstung gen Süden gestartet, den wir sonst nie auf einen zweiwöchigen Urlaubstrip mitgenommen hätten. Darunter das komplette Werkzeug, zwei Laptops und ein Berg an Teilen, von denen wir glauben, dass sie im Laufe der zehntausenden von Kilometern zum Einsatz kommen werden.
Anreise im strömenden Regen
Mit Zwischenstation bei unserem Freund Peter in Bad Krozingen/Baden schlagen wir uns bei strömendem Regen auf Landstraßen durch die Schweiz bis ins italienische Aostatal. Am nächsten Morgen hat sengende Sonne die starken Regenfälle am Abend und in der Nacht abgelöst. In strahlendem Blau präsentiert sich der Himmel über den Bergmassiven der westitalienischen und französischen Alpen, dem Val d’Isere und dem Lac de Tignes. Die letzten Schneefelder, die der Sonne noch trotzen, geben malerische Fotomotive, und trotz der schwer beladenen und mit 50 PS nicht unbedingt vor Kraft strotzenden BMWs machen die kaum enden wollenden Serpentinenstrecken einen Heidenspaß.
Susa bei Turin ist der ideale Ausgangsort, um die umliegenden, legal zu befahrenden Schotterstrecken durchs Hochgebirge unter die Stollenreifen zu nehmen. So klangvolle Namen wie die Assietta Kammstraße, die Piste zum Monte Jafferau oder der Col delle Finestre sind von hier schnell zu erreichen. Immer wieder säumen alte Militärforts aus dem Ersten Weltkrieg die teils recht ausgewaschenen, groben Pisten – oder sind der Grund, warum die Sträßchen einst angelegt wurden. Die meist recht zerfallenen Bauten legen heute noch stilles Zeugnis menschlichen Wahnsinns ab.
Auf die Assietta
Vom geschotterten, doch leicht befahrbaren Col delle Finestre zweigt die Auffahrt zur Assietta ab, die wir trotz aufziehender Wolken und eines drohenden Wetterumschwungs unter die Räder nehmen. Auch die lang gezogene Schotterstrecke der Assietta Kammstraße ist noch gesperrt. Was soll’s, beim Col d’Iseran hat es ja auch geklappt! Wir genießen die Aussicht und freuen uns schon auf die Serpentinen, die hinauf zum Sattel führen. Als wir ums Eck biegen steht jäh ein LKW quer vor uns auf dem Weg. Die Bauarbeiter in Italien sind indes nicht so entspannt wie ihre französischen Kollegen. Trotz allen Bittens und Bettelns wollen und die Werker nicht passieren lassen. Also umdrehen und angesichts der Wetterunbilden über kleine verschlungene Pfade den Rückmarsch antreten.
Tags darauf hat es wieder aufgeklart und wir starten hinauf zum Mont Jafferau und zum Monte Pramand, wo ein großer Militärposten darauf wartet, erkundet zu werden. Die letzte 500 Meter legen wir per pedes zurück, da im letzten Abschnitt sich der Schotter zu grobem Geröll wandelt, an dem weder wir noch, die 200 Kilo-BMWs Spaß haben.
Zum Naturwunder
Wir wenden uns nach Süden, diesmal soll es hinüber gehen nach Frankreich zu einem der größten Naturwunder Europas. Der Grand Canyon du Verdon steht mit über 20 Kilometern Länge und 700 Metern Tiefe den großen Schluchten auf dem Balkan und in Nordamerika kaum nach. Mit azurblauem Wasser windet sich der Verdon Fluss durch die Gorge. Auf beiden Seiten lässt sich die Schlucht auf einer kleinen Landstraße bewundern, auf der Nordseite bietet eine etwa 20 Kilometer lange Ringstraße besonders spektakuläre Ausblicke und immer wieder überhängende Felsen. Deshalb ist die Straße auch als Einbahnstraße angelegt. Wer die Aussichtsstraßen befahren will, sollte angesichts des irrsinnigen Verkehrsaufkommens tunlichst Wochenenden vermeiden.
Es zieht uns wieder nach Norden, und wir fahren vom Departement Haute-Provence gen Norden ins Hochdauphine, wo wir uns für einen toll an einem Wildfluss gelegenen Campingplatz in La Grave im Nationalpark Ecrins entscheiden. Durch bizarr geformte bunte Kalkfelsen über ein Stück topfebenes Flachland gelangen wir wieder ins schroffe Hochgebirge, auf kleinen und kleinsten Sträßchen mit Feldüberhängen und Passstraßen, die sich gleichsam an die Feldwand krallen. Mitunter verwegen in den Fels gehauene ultraschmale Sträßchen sorgen allenthalben für Nervenkitzel. Hinter Oulles entdecken wir eine lehmig-schlammige Offroadpiste, die am Hang entlang zu einem verfallenen alten Dorf führt, das sich die Natur mittlerweile wieder zurückerobert hat. Wir sehen uns um. Was für Menschen mögen hier gelebt haben und warum ist das Dorf ausgestorben?
Abends geht ein gewaltiges Gewitter nieder, das wir in unserem nagelneuen Zelt aussitzen. Der Wildfluss vor unserem Zelt verwandelt sich innerhalb von Minuten zu einer pechschwarzen Schlammbrühe. Bei dieser Gelegenheit zeigt sich nebenbei, dass einige Nähte stark undicht sind. Enttäuschend für eine Behausung der 1100-Euro-Klasse!
Unsere Zeit neigt sich dem Ende entgegen. Dennoch wollen wir den spektakulären Aravis-Höhenfahrweg weiter nördlich in Hochsavoyen nicht entgehen lassen. Die gut fahrbare Schotterstrecke führt unter einem Bergmassiv entlang und bietet allenthalben spektakuläre Ausblicke.
Das Fazit
Als Fazit der Reise bleibt: Die BMWs funktionieren beeindruckend gut, sowohl auf der Straße, als auch abseits der Teerdecke. Der Verbrauch verblüfft uns dabei immer wieder: Autobahn (Tempo 120) mit vollem Gepäck und den ausladenden Aluboxen: 4 Liter/100km. Landstraße mit vollem Ornat: 3,5 Liter, Landstraße ohne Gepäck: 3 Liter. Werte, auf die so manche 250er stolz wäre.
Auch der Großteil des Equipments macht eine gute oder sogar sehr gute Figur. Doch es gab auch Problemfälle: Das Vaude-Zelt ist stark undicht, der Benzinkocher hat gegen Ende der Reise seinen Geist aufgegeben und auch das Dauer-Sorgenkind Midland-Interkom-Anlage haben wir noch immer nicht ganz im Griff. Und die GoPro Hero 5 tut noch immer meist, was sie will. Mehr darüber lest ihr demnächst in den Updates zu den Ausrüstungsgegenständen.