Wir sind in Kolumbien! Ein Land, von dem wir viel Gutes gehört haben. Wir sehen tolle Landschaft, freundliche Menschen – und eine Unmenge an Wasser.
Es ist bereits dunkel, als wir die Grenze von Ecuador nach Kolumbien passieren und in den völlig chaotischen Verkehr mit kreuz und quer schießenden Moppedfahrern in Ipiales, der Grenzstadt eintauchen. Trotz etlicher Schwätzchen mit kolumbianischen Motorradfahrern, die uns sehr herzlich in ihrem Land begrüßen, haben wir den Übertritt in nur zwei Stunden absolviert.
Einmal mehr verliert einer der fast bis zur Karkasse abgefahrenen Hinterreifen Luft. Diesmal ist es aber auch wurscht, denn wir fahren anderntags ohnehin stante pede zum Reifendienst, um unsere neuen Pneus zu montieren. Angesichts des Preises von umgerechnet 4 Euro pro Rad setzen wir diesmal nicht selber die Montiereisen an.
GS umgefahren
In Las Lajas machen wir die erste Begegnung der unangenehmen Art. Ein Fahrer eines Kleinwagens fährt die geparkte GS um. Bilanz: Ein gebrochener Kupplungshebel und ein kaputter Blinker. Trotz vier Zeugen und Reifenspuren an seinem Fahrzeug behauptet der Hanswurst, er hätte damit nichts zu tun. Doch auch die herbeigerufene Polizei bestätigt die Schuld des hysterisch zeternden Schauspielers, der schließlich zähneknirschend den entstandenen Schaden bezahlt.
Das Santuario de Nuestra Señora de las Lajas nahe Ipiales ist eine imposante Wallfahrtskirche, die in einem schmalen Canyon aufragt und gemeinsam mit der Schlucht ein imposantes Ensemble bildet. Bei Nacht wird der Bau mit wechselnden Farben illuminiert. Also warten wir bis zur Einbruch der Dunkelheit und meistern den steilen Weg hinein in die Schlucht, um uns fotografisch auszutoben.
Die gefühlt tausendste Reifenpanne
Nach einem weiteren Besuch bei Tageslicht, wenden wir uns gen Pasto. Unterwegs sucht die GS eine weitere Reifenpanne heim – wie es Murphy’s Law so will, bei Regen und auf einer Schnellstraße. Etliche Mal verpassen wir dem Pneu per Kompressor Luft, um uns sukzessive zu einer Werkstatt zu schleppen. Diagnose: Einer der vielen Flicken auf dem Schlauch hat sich gelöst.
Unser Ziel ist die Laguna de La Cocha, ein See, der am Nordufer mit Holzbauten gesäumt und von Wasserkanälen durchzogen ist. So etwas wie ein sehr kleines Amsterdam. So denken wir. Mit dem Unterschied, dass nach Einbruch der Dunkelheit nirgends mehr etwas Essbares aufzutreiben ist. So belassen wir es bei einer Dose Bier als Abendmahl und fahren anderntags nach Pasto, weil wir von einem Motorradtreffen in der Halbmillionenstadt erfahren haben. Der Calaveras Riders MC hat zur Jahresparty geladen.
Tanz auf dem Vulkan
Dort lernen wir Sebastian und seine Freundin Wendy kennen und verabreden uns für den nächsten Tag zu einer Tour rund um ihren „Hausberg“, den knapp 4300 Meter hohen Vulkan Galeras, der zu den aktivsten der nördlichen Anden gehört. Abends gibt es im Haus der beiden selbst gemachte Empanadas, jene gefüllten Teigtaschen, die in Kolumbien im Gegensatz zu anderen Ländern aus einem Teig aus Maismehl bestehen. Ein Genuss – einmal mehr selbst gemacht!
Es ist Zeit, Abschied zu nehmen von unseren Freunden. Wir haben uns entschieden, allen Warnungen zum Trotz den „Trampolin de la Muerte“ zu fahren. Hinter dem pathetischen Namen verbirgt sich eine geschotterte Gebirgsstrecke, die Erzählungen nach etwa so berüchtigt sein soll wie die bolivianische Death Road. Unserem Plan, zunächst gen Silvia zu fahren, haben die sintflutartigen Regenfälle einen Strich durch die Rechnung gemacht. Denn die haben kurzerhand die Straße weg gespült. Ein Problem, das uns in der Folge immer wieder Kopfzerbrechen bereiten wird. Denn in diesem Jahr fällt in Kolumbien mehr als das Doppelte an Regen, als in den Jahren zuvor.
Alles im Fluss
Auf dem Trampolin sollen die fünf zu furtenden Flüsse zu reißenden Strömen angewachsen sein, heißt es. Doch wir wollen nicht länger warten, Schließlich rufen neue Abenteuer im Oriente – so heißt hier die Regenwaldregion. Auf halber Strecke setzt strömender Regen ein. Dennoch bleibt die einspurige Piste erstaunlich fest. Immer wieder fahren wir durch dichten Nebel, immer wieder müssen wir großen Lkw ausweichen. Die ersten vier Wasserdurchfahrten stellen sich als recht einfach heraus. Die fünfte hingegen ist ein reißender Strom, in dem sich bereits ein Lkw festgefahren hat.
Wir steigen in den Bach und ermitteln die geeignete Fahrspur, um schließlich das gut radtiefe Wasser zu queren. Lange nicht so wild, wie es vom Ufer aus ausgesehen hat. Allerdings sind wir nun innen wie außen triefend nass. Nahe Mocoa beziehen wir eine kleine Unterkunft, in der wir erst einmal das Wasser aus den Stiefeln schütten und die Klamotte auswringen.
Abends lernen wir Nico kennen. Der Fallschirm-Lehrer ist mit seiner Yamaha XT 1200Z Super Tenere auf dem Weg gen Argentinien. Er lädt uns ein, in seinem Hotel südwestlich von Bogota ein paar Nächte zu verbringen. Die Einladung nehmen wir dankend an.
Unerwarteter Besuch
Anderntags beim Frühstück spucken wir fast den Kaffee aus, als direkt neben uns in den Stauden ein Heidengezeter anhebt und schließlich eine Horde Kapuzineraffen aus dem Busch bricht. Wir füttern die Primaten mit alten Bananen, die sie uns gierig aus der Hand reißen, um sich schließlich heftig um die Beute zu streiten.
Ein weiteres Mal müssen wir unsere Weiterreise-Pläne ändern, weil durch den täglichen heftigen Regen Erdrutsche unsere Route verschüttet haben. Und so verschlägt es uns schließlich ins mondäne San Agustin. An sich ein verschlafenes Nest in einer hübschen Hügellandschaft. Doch der Ort ist durch seine Felsskulpturen weithin bekannt. Die Monumente wurden von der – später nach dem Ort benannten – San-Agustin-Kultur zwischen 100 und 1200 nach Christus erschaffen. Der archäologische Park, in dem nicht nur die Skulpturen, sondern auch Siedlungen und Gräber auf die Besucher warten, gehört zum UNESCO Welterbe.
In die Wüste geschickt
Immer wieder suchen uns sintflutartige Regenfälle heim und unser Campingplatz wird mehr und mehr zur Wasserwüste. Und so satteln wir schließlich die BMWs und starten gen Desierto de Tatacoa, das zumindest vermittels seines Namens ein trockenes Fleckchen zu sein scheint. Je weiter wir gen Osten fahren, desto höher steigt das Quecksilber. Schließlich kommen wir bei 38 Grad schweißgebadet an. Doch das „trockene Fleckchen Erde“ erweist sich als weniger trocken als erwartet. In der Nacht gehen heftige Gewitter und weitere starke Regenfälle nieder. Am Morgen machen wir uns auf die Wanderung in die Desierto („Wüste“) zu den imposanten roten und grauen Steinformationen, die ein wenig an das Monument Valley oder gar an den Arches National Park in den USA in Klein erinnern.
Wir stehen – Schlange!
In einer der gerade einmal schulterengen Rinnen treffen wir auf eine Schlange. Die flüchtet zunächst, kauert dann aber in Abwehrstellung vor uns. Da wir von den örtlichen Serpenten keine Ahnung haben und nicht wissen, ob das Tier giftig ist oder nicht, rätseln wir, wie wir das Viech passieren sollen. Immer weiter flüchtet unser Gegenüber die Rinne entlang, ein Aufstieg ist für keinen von uns dreien möglich. Schließlich fassen wir uns ein Herz und springen über das in Angriffsposition verharrende Reptil hinweg.
Immerhin bringt uns der Pfad durch die schlammigen Vertiefungen ins Herz der bizarren Sandsteinformationen. Und weg von den gackernden Pauschaltouris, von denen nur wenige mehr als die ersten 100 Meter zurücklegen.
Wir haben von einem Schwimmbad mitten in den Formationen erfahren, genau richtig zur Abkühlung. Und zur Einstimmung auf den faszinierenden Sternenhimmel, der uns in der Nacht erwartet.
Willst du nochmal arm sein?
Zu Nicos Fallschirmspringer-Hotel ist es nicht mehr weit, und da wir durchaus mal wieder ein richtiges Bett und eine Dusche schätzen, fahren wir bald auf dem Flugfeld mit Hangar ein. Im randlosen Pool schwimmend schauen wir zu, wie immer wieder das Flugzeug startet und schließlich Menschen vom Himmel fallen. „Möchtest Du nochmal arm sein?“, fragen wir uns gegenseitig feixend und schmunzelnd.
Doch der Schock lässt nicht lange auf sich warten. Einer von Toms Motorradstiefeln ist ebenso von der Terrasse verschwunden wie der rechte Gore-Tex-Trekking-Schuh. Nicos Vater hat vergessen, uns vor den diebischen Kötern zu warnen, und so suchen wir zu viert das sündteure Schuhwerk. Im hohen Gras kommt der Stiefel mit einem ausgebissenen Teil am Schaft zum Vorschein, der teure Gore-Tex-Schuh ist stark aufgerissen. Unser Hass auf die vierbeinige Landplage ist einmal mehr geschürt!
Stickig, heiß, spannend
Es fällt uns schwer, uns von den Annehmlichkeiten loszureißen, doch es zieht uns wieder hinaus ins Abenteuer, hinunter in den Oriente. Dorthin, wo es stickig und heiß, aber exotisch und spannend ist. Spannend ist indes zunächst der höllische und völlig chaotische Verkehr im Süden des Zehn-Millionen-Molochs Bogota, durch den wir uns auf dem Weg nach San José de la Guaviare kämpfen müssen. Vermutlich der fieseste, den wir bis dato mit einem eigenen Fahrzeug bewältigen mussten.
Immer weiter geht es hinunter, der alltägliche Regen lässt nach, die Temperatur steigt ins kaum Erträgliche. Plötzlich steht am Straßenrand ein grünes Männchen, das noch einmal seine Uniform zurechtrückt, um uns in herrischer Manier an den Straßenrand zu winken. Wir hatten zum Überholen eine durchgezogene Linie überfahren. So wie es hier jeder macht. Kaum zu vermeiden, wenn sich die Lawine aus technisch maroden Lkw mit 20 km/h den Hang hinab quält.
Unser Spanisch hat uns verlassen
Wir sprechen plötzlich kein Wort Spanisch mehr. Der Beamte versucht verzweifelt, uns seine Message zu vermitteln. Doch auf unserer Seite wechseln sich nur Schulterzucken und fragende Blicke ab. Der Grüne hört sich bei seinen Kollegen um, ob jemand Englisch spricht. Würde ohnehin nix nützen, denn das können wir ja auch nicht. Schließlich gibt er entnervt auf und lässt uns unseres Weges fahren.
Jenseits von unserem Zwischenstopp in Villavicencio geht es indes nur noch bolzengeradeaus, die Restkilometer schmelzen dahin und schon biegen wir auf die fiese Sandpiste ein, die zur Puerta de Orión führt.
Durch farn- und lianenbewachsene Felslabyrinthe sowie fledermausbehangene Höhlen führt uns die Tochter der Finca zu jenem imposanten, 12 Meter hohen und 15 Meter breiten doppelten Steintor. Angeblich soll im Dezember in der oberen Öffnung zwischen 19 und 21 Uhr das Sternbild des Orion zu sehen sein. Felsmalereien weisen darauf hin, dass dieser Ort frühen Kulturen als Kultstätte diente.
Auf dem Rückweg verschaffen wir uns in einem natürlichen Pool im Fluss Abkühlung. Tags darauf machen wir uns auf eigene Faust auf eine Wanderung durch die Steinlabyrinthe einer benachbarten Finca. Sehr zum Missfallen unserer Wirtsleute, deren anfängliche Freundlichkeit nun in offene Missgunst umschlägt. Angeblich hätten wir den Grund nicht betreten dürfen. Warum, wissen wir bis heute nicht.
Nach einer brütend heißen Nacht nehmen wir Reißaus zu den Pozos Naturales, natürlichen Pools, die sich im Gestein eines Flusses gebildet haben und zur Abkühlung von der Hitze einladen. Auf dem Weg von der Finca zu den Becken passieren wir einen Wasserfall und ein Stück Dschungel. Unser Guide mahnt uns an einer Stelle zur Vorsicht, denn hier sonnen sich gern Lanzenottern und Schwarze Mambas.
Ein Tag zum Vergessen
Früh am nächsten Morgen setzt starker Regen ein. An ein Abbauen des Zelts und Losfahren ist nicht zu denken. Zumal der Fluss, den wir gen Zeltplatz durchfahren haben, stark angeschwollen und nicht mehr passierbar ist. Doch wenn es ein Tag ohnehin nicht gut mit Dir meint, kommt immer mehr an Unbillen dazu. Andrea liegt mit Kreislauf- und Magenbeschwerden flach, Tom ist mit dauerhaftem Durchfall Dauergast auf den schimmeligen Toiletten. Es regnet den kompletten Tag und die folgende Nacht Hunde und Katzen. So viel Wasser geschluckt haben wir auf unseren Reisen nur äußerst selten. Tags darauf bringen wir in einer zehnminütigen Regenpause alles unters Dach und starten schließlich durch.
Wieder hinauf Richtung Bogota. Hinein ins Chaos. Noch nicht ahnend, was uns später im berüchtigten Medellin erwarten wird. Und schließlich werden wir in einen Unfall verwickelt. Mehr darüber gibt es in der nächsten Folge.
Kilometer: 13632 (+23989)
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