Eine Verletzung setzt Tom in Costa Rica außer Gefecht. Die gesamte Reise steht auf der Kippe. Doch einmal mehr stehen uns teils eindrucksvolle, teils kuriose Begegnungen mit tollen Menschen bevor. Und die gehören zu den wichtigsten Eindrücken der ganzen Tour.
Nur noch die Hinterachsmutter anziehen, fertig. Tom setzt den Schlüssel an. Es folgt ein lautes, krachendes Geräusch im Arm, ein heftiger, stechender Schmerz, der Kreislauf sackt weg. Uns schwant Böses. 2018 hat sich Tom während der Vorbereitung der Reise die linke Bizepssehne abgerissen. Es folgte eine Operation und eine langwierige Genesung, in deren Verlauf er jede einzelne Bewegung wieder von Neuem erlernen musste. Der Start des Trips hat sich damit um ein halbes Jahr verschoben.
Das jähe Ende unserer Reise?
Sollte es sich einmal mehr um eine solche Verletzung handeln, wäre die Reise wohl beendet – schon wieder. Wir befinden uns recht abgelegen auf der Nicoya-Halbinsel an der Pazifikküste Costa Ricas. Dennoch treiben wir innerhalb einer Stunde ein Taxi zum nächsten Krankenhaus in Cobano auf.
Tom ist weiß Gott nicht der Einzige mit körperlichen Malaissen, und so warten wir bis wir schwarz werden. Schließlich nimmt sich ein Arzt des verletzten Körperteils an. Zielsicher setzt der Doc seine Griffe an: „Tut das weh?“. *Brüll*! „Und das?“ *Brüüüülll*. Finale Diagnose: Nichts gerissen, nur stark gereizt und entzündet. Finger weg vom Motorrad für eine Woche, sowohl von den Schrauben, als auch vom Lenker. Und das Bier mit der linken Hand trinken, lautet die vernichtende Anordnung des Medicus. Mit einer Woche an unserem Traumstrand könnten wir leben. Aber in vier Tagen ist Motorradtreffen in Puntarenas. Das größte in ganz Mittelamerika, und dort treffen wir doch unsere Freunde von den Nordicos. Muss also verheilt sein bis dahin!
Die nächste Motorrad-Sause mit den Nordicos
Am Samstag schließlich starten wir doch durch. Tom hilft seinem noch immer ordentlich lädierten Flügel mit Schmerzmitteln auf die Sprünge. Der Planet brennt ohne Gnade. Rund 40 Grad heizen den Asphalt des Events auf. 25.000 Biker sollen es sein, die der Hitze trotzen. Wir bemitleiden all jene, die in der Lederkutte ihres MC gen Garpunkt dünsten.
Wir haben die einzigen Kennzeichen, die nicht aus Mittelamerika stammen. Und die einzigen Zweiräder, die statt vor Chrom zu blitzen von oben bis unten eingedreckt sind. Mit beiden Attributen sind wir die Attraktion. Treffen mal anders.
Nicaragua ruft
Anderntags verabschieden wir uns ein ultimativ letztes Mal von unseren Freunden. Eigentlich vermissen wir sie schon lange, bevor wir weg sind. Aber Nicaragua ruft. Ein weiteres Mal. Diesmal umfahren wir den riesigen Lago Nicaragua auf seiner Ostseite. Denn wir wollen hinunter an die Karibikküste von Bluefields. Eine kaum erschlossene Region, in der eine schwarze Minderheit, die Nachfahren ehemaliger Sklaven leben. Die meisten der Einwohner sprechen eine Kreolsprache des Englischen, einige sogar ausschließlich.
Wir besuchen per Boot eine der vorgelagerten Halbinseln, die jedoch vor einigen Monaten von einem Tropensturm verwüstet wurde. Es dominieren Schwemmholz und der an sämtlichen Küsten vorherrschende Plastikmüll. Die schwarze Bevölkerung begegnet uns äußerst freundlich und aufgeschlossen. Dennoch zieht es uns alsbald weiter gen Nordwesten.
Das Böse steigt in die Welt
Nahe der Stadt Masaya vor den Toren der Hauptstadt Managua steht der gleichnamige Vulkan, der uns nicht nur willig in seine Caldera, sondern gar tief in seine Eingeweide blicken lässt. Wir warten, bis es Nacht ist und bestaunen die wallende, rotglühende Lava im Innern. Alle hatten Angst vor dem Masaya. Die Indigenos hielten einst seine Ausbrüche für Zorn der Götter und brachten ihm Menschenopfer dar. Die Spanier hielten den heißen Schlund für den Eingang zur Unterwelt und stellten ein eisernes Kreuz auf, um das Böse nicht in die Welt steigen zu lassen.
Wir indes steigen ins Auto von Hernan. Den Mittsechziger haben wir auf dem Motofest in Nicaragua kennengelernt. Er entführt uns ins nächtliche Managua, zeigt uns die pseudo-pathetischen Heldendenkmäler des sandinistischen Regimes. Und schließlich die Kirche, in der das Ortega-Regime 2018 die Proteste von Studenten niederschlugen und zwei von ihnen ermordeten.
Hernan beschließt kurzum, uns anderntags bis zu unserem nächsten Ziel zu begleiten und so fahren wir mit drei Motorrädern in dem Kolonialstädtchen Leon ein. Der gebürtige Salvadorianer verabschiedet sich und choppert auf seiner Honda Shadow von dannen.
Einzig die per Wandmalereien, Stelen und Gedenksteine allgegenwärtige Propaganda der Kommunisten nerven in der ansonsten beschaulichen ehemaligen Hauptstadt, in der 1821 auch die Unabhängigkeit von Spanien unterzeichnet wurde. Wir schließen uns einer Tour eines jungen einheimischen Führers an, probieren auf dem wuseligen Markt uns völlig unbekanntes Gebäck und exotische Früchte und lernen viel über die einheimische Bevölkerung und ihr Leben.
Siegesgeheul
Als Kontrastprogramm geben wir uns dem sandinistischen Siegesgeheul im Museum der Revolution hin – einschließlich einer kurzen Wanderung über die knarzigen, teils zu Löchern korrodierten Blechdächer des Gebäudes mit Blick von oben auf die lauschige Plaza und auf den Vulkan Momotombo. Ursprünglich lag die Siedlung 30 Kilometer entfernt. Ein gewaltiger Ausbruch des Feuerspeiers hat die Stadt vollständig zerstört. Wieder aufgebaut wurde sie in der Folge an ihrem heutigen Standort.
So sehr wir das pittoreske Städtchen ins Herz geschlossen haben, zieht es uns weiter nach Norden. Über ein gepflastertes Sträßchen erreichen wir durchs völlig ausgedorrte Hinterland ein Nationalmonument der Extraklasse. Der Somoto Canyon ist ein Leckerbissen für Natur- und Wasserfreunde. Mit einem Guide wandern, klettern und schwimmen wir durch die vom Rio Coco durchflossene Schlucht, die an vielen Stellen nur wenige Meter breit ist und knapp 100 Meter aufragt.
Wir sind endlos traurig
Abends lassen wir an unserem Camp, einem privaten Garten am Eingang des Canyons, den Tag noch einmal Revue passieren, als uns ein kleiner Esel auffällt, der am Wegrand grast. Der freundlich dreinblickende, aber sehr scheue Zeitgenosse hat am linken Hinterlauf vom Rücken bis fast zum Huf eine furchtbare Wundfläche, teils schwarz abgestorbenes Gewebe, zum Großteil offene nässende Wunde, die ihm offenbar große Schmerzen bereiten. Der Schock: Unser Guide erzählt uns, der Vierbeiner habe in einem privaten Garten zwei frische Setzlinge abgenagt, dafür haben ihn die Eigentümer mit kochendem Wasser übergossen. Und seit nunmehr über drei Monaten wollen die Wunden nicht heilen, die Medikamente nicht helfen.
Was sind das für „Menschen“, die zu so etwas fähig sind? Während wir für uns über die drakonischsten Strafen für die widerwärtigen Gewalttäter nachdenken, füttern wir den Kleinen zumindest mit den leckeren Früchten, die in unserem Garten wachsen.
Eines der gefährlichsten Länder der Welt – wirklich?
Wir verlassen Nicaragua gen Honduras und wechseln von einem Land, das brutale Kommunisten regieren in ein Land, in dem die Drogenkartelle den Ton angeben. Eines der gefährlichsten Länder der Welt, sagt man landläufig. Die meisten Reisenden queren Honduras gen El Salvador, ohne auch nur einmal aus ihren rollenden Mehrfamilienhäusern auszusteigen. Wir hingegen sind neugierig und suchen stets den Kontakt zu den Einheimischen. In der Hauptstadt Tegucigalpa treffen wir Alex, den Eigner einer Kawasaki KLR 650. Beim Abendessen erzählt er uns von der prekären Situation in der Stadt, wo im Land die Drogengangs das Sagen haben, und was wir auf keinen Fall verpassen dürfen. Anderntags führen uns Byron und Tati, ebenfalls Motorradfahrer, durch die 2-Millionen-Stadt. Zumindest durchs historische Zentrum und auf den Aussichtspunkt auf dem Berg am Rand der Stadt. Der Moloch zählt zu den vermülltesten und verfallensten Metropolen, die wir bis dato gesehen haben. Große Teile sind „Zona Roja“, sprich No-go-Areas, in denen Kriminalität und Gewalt vorherrschen.
Am nächsten Tag wenden wir uns gen Nordosten mit Ziel Trujillo. Der Dakar scheint das Klima nicht zu gefallen. Die Bayerin läuft zum weißderHerrwievieltenmal auf dieser Reise heiß. Diesmal allerdings pieselt sie langsam aber sicher den Inhalt ihres Kühlers aufs Pflaster. Nach zwei Nächten an der Karibikküste bei Trujillo füllen wir noch einmal kräftig auf uns schleppen uns gen La Ceiba, wo uns Hector Unterschlupf gewährt. Er ist ein Freund von Alex und hat sich sofort bereit erklärt, uns aufzunehmen.
Eine Bekanntschaft fürs Bett
In seinem schepperigen Pickup zeigt er uns die zwischen Karibik und Küstenkordillere gelegene Gegend, in der unter anderem die Firma Dole in gigantischen Monokulturen Ananas anbaut. Es ist bereits Nacht, als wir uns in der schnaufenden und knarzenden Laube auf einer holperigen Piste in die Berge emporschrauben. Immer steiler, felsiger und schmaler wird das, was man vor Ort immer noch „Straße“ nennt. Nach eineinhalb Stunden gelangen wir schließlich zu einer Siedlung mit vier Häusern. Wir treten ein in die Stube eines älteren Ehepaars, das uns beide Deutsche ebenso verdutzt ansieht, wie wir sie. Er habe hier ein Stockbett bestellt, der Opa sei ein begnadeter Schreiner, so Hector. Die Oma setzt uns leckere Baleadas (Maisfladen) vor, dazu einen dicken, aus Haferpulver angerührten Trunk. Kugelrund machen wir uns schließlich ans abenteuerliche Verzurren des über 2 Meter hohen Betts – mit Hanfseilen und Seemannsknoten. Noch mehr scheppernd als zuvor und vor allem enorm schwankend fahren wir die wilde Piste wieder gen Tal.
Der nächste Schaden
Tags darauf verabschiedet Hector sich für ein paar Tage – samt Bett – gen Süden. Wir nutzen die Zeit, den Kühler der Dakar auszubauen. Das erstaunliche Ergebnis: Die Lüfterzarge hatte sich stark verformt, sich in die Rückseite des Kühlers gedrückt und dort mehrere Lecks verursacht. Wir lassen das Bauteil für einen Apfel und ein Ei schweißen und die Zarge abschleifen. Der teuerste Posten ist das neue Kühlmittel.
Der Karibikküste vorgelagert finden sich einige Inseln, die umringt sind von Ketten von Korallenriffen und ein Karibikfeeling mit sich bringen, wie man es von der Fernsehwerbung für billigen weißen Rum kennt. Das lassen wir uns nicht entgehen und schippern hinaus zur Insel Utila. Unser den kompletten Tag Dope rauchende Herbergsvater gibt uns völlig stoned, aber äußerst freundlich gute Tipps und leiht uns seine Schnorchelausrüstung, die wir mehrere Male zum Einsatz bringen. Das Aussteiger-Feeling ist auf Utila omnipräsent. Hier wird gearbeitet, um zu leben und nicht umgekehrt. Erschütternd allerdings das Ausmaß an Plastikmüll, das an der Nordküste flächendeckend Tag für Tag angespült wird.
Im Dorf der Garifuna
Wir verlassen Hector, seine Frau Yina und ihr süßes Töchterchen für zwei Tage und fahren gen Nuevo Armenia. Das Dorf wird von Garifuna bewohnt, den schwarzen Nachfahren der ehemaligen Sklaven. Wir erkunden die beschauliche Siedlung und sind tief beeindruckt von der Freundlichkeit, mit der uns die Einwohner empfangen. Weiße kommen hier äußerst selten vorbei, umso mehr freuen sich die Menschen über unsere Anwesenheit. Sie kommen ans Fenster oder Hoftor, winken und rufen uns allenthalben „Bienvenidos!“ (willkommen!) zu. Wo wir übernachten, hat sich schon herumgesprochen. Abends kommen zwei Jugendliche zu unserem Hostel und wollen sich mit uns und unseren Motorrädern fotografieren lassen. Und Herbergswirtin Gladys hat sich für die Fotos gleich ihr edelstes Gewand übergestreift. Begegnungen, die bei uns tiefe Eindrücke hinterlassen. Und mit riesiger Scham denken wir darüber nach, wie man in Deutschland in entlegenen Dörfern zwei fremde Schwarze womöglich behandeln würde…
Es tut weh, am nächsten Morgen Nuevo Armenia und die Garifuna zu verlassen, doch wir haben eine Bootstour hinaus auf de Cayos Cochinos gebucht – ein Atoll aus mehreren Inselchen, umgeben von strahlend weißem Sand, türkisblauen Wasser und Korallenriffen, an deren Fauna wir uns beim Schnorcheln kaum sattsehen können.
Ausfahrt mit LAMA
Wir kehren zurück zu Hector nach La Ceiba, denn am nächsten Morgen wollen wir mit ihm und dem örtlichen Chapter der LAMA – Latin American Motorcycle Association – eine Ausfahrt machen. Die Biker nehmen uns äußerst herzlich in ihrer Mitte auf, und so schippern wir gemeinsam per Boot in den Punta Sal Nationalpark mit idyllischen kleinen Sandbuchten unter Palmen und jeder Menge vorgelagerter Felsen.
Nach ein paar Strandtagen in Tela schütteln wir uns Sand und Salz aus dem Pelz und fahren hinauf in die Berge gen Lago de Yojoa. Die Temperaturen werden erträglicher, die kleinen Städtchen weniger wuselig, als unten an der Karibikküste.
El Salvador? Erstmal geplatzt…
Doch schon bald zieht es uns weiter, hinüber nach El Salvador, in das kleine Land an der Pazifikküste, von dem wir viel Gutes gehört haben. Und wo bei Alex „Churro“, dem Präsidenten des Cuervos Motorradclub ein Paket aus Deutschland auf uns wartet. Wir satteln also unsere BMWs voller Vorfreude. Die jedoch platzt nur 20 Kilometer weiter gemeinsam mit dem Kühler der GS, der nun seinerseits seine rote Suppe auf den Asphalt rotzt. Mitten in den Bergen von Honduras. Nun ist guter Rat teuer…
Kilometer: 26204 (+23989)
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Fotos:
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